Die Kapitalmärkte sind gerade hin- und hergerissen, ob Inflation nützt oder schadet, ob sie sich als zeitweilig erweisen wird oder andauernd sein kann. Dies ist vor allem auf den Märkten für Staatsanleihen zu beobachten, und vor allem in den USA.
Im Zuge der Wirtschaftserholung und der Impferfolge ist die Rendite der 10jährigen US-Staatsanleihe im Frühjahr stark angestiegen, von unter 1% zu Jahresanfang um 85 Basispunkte bis Ende März 2021. Danach setzte eine Konsolidierung ein, die noch immer andauernd. Während sich stark beschleunigte Preissteigerungsraten im April und Mai die Rendite nur kurzfristig zucken ließ, brachte zuletzt die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) die Rendite wieder stärker ins Schwanken. Zuerst wurde die Botschaft der Notenbanker noch als eine Tür interpretiert, die etwas weiter als gedacht in Richtung Rücknahme von Stimulus geöffnet wurde. Die Renditen stiegen wieder. Danach fielen sie abermals, teilweise auf merklich unter 1,4%, was für viele Beobachter schwierig zu erklären war.
Ein Grund war die einseitige Positionierung vieler Investoren, die vermehrt auf weiter steigende Renditen gesetzt hatten (siehe Chart der Woche). Außerdem herrschte zeitweilig eine Art Knappheit an USStaatsanleihen. Die US-Regierung musste deutlich weniger Staatsanleihen emittieren als üblich, da man das prall gefüllte „Treasury General Account“, eine Art Girokonto des amerikanischen Staats, wieder auf einen normaleren Kontostand herunterbringen wollte. Und auch die Gipfelbildung in der amerikanischen Konjunkturentwicklung spielt wohl eine Rolle. Historisch lassen sich um den Gipfel von Frühindikatoren leicht rückläufige Renditen feststellen.
Der wesentlichste Punkt für die Unsicherheit bleibt aber der Inflationsausblick in Kombination mit der Reaktionsfunktion der Zentralbanken. Während sich die Inflation bei vielen der derzeitigen Preistreiber wie Mietwagen und Flugtickets früher oder später wieder beruhigen sollte, könnten Preiskomponenten wie Mieten und die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum auch mittelfristig steigen. Bleibt die Frage der Reaktion der Zentralbanken, vor allem der Fed. Die Eröffnung von Zinserhöhungsdiskussionen für die Jahre 2022 und 2023 durch die sogenannten „dot charts“ macht deutlich, wie schwierig es für die Zentralbanker sein wird, den Stimulus weder zu früh noch zu spät zurück zu nehmen. Ein zu frühes Straffen der Geldpolitik könnte die Wirtschaftserholung abwürgen und die Glaubwürdigkeit des Durchschnittsinflationsziels gefährden. Eine zu späte Verschärfung der Geldpolitik könnte Inflationserwartungen stark steigen lassen und die Wirtschaft überhitzen lassen.
In einem Umfeld in dem auch die „zeitweiligen“ Inflationskomponenten länger und stärker als erwartet steigen könnten, bereiten wir uns auf steigende US-Staatsanleiherenditen und einen andauernden Wirtschaftsaufschwung vor. Die Unsicherheit und damit die Laufzeitprämien für längerlaufende Staatsanleihen könnten weiter steigen.
Taktische Allokation Aktien & Anleihen
- Der Post-Pandemie-Boom hält an. Während vor allem in den USA die Wachstumsdynamik auf ihren Höhepunkt zusteuert, dürfte dieser in Europa noch einige Monate in der Zukunft liegen. Die Datenlage in Asien ist gemischter, da die Impfungen in vielen Ländern weniger schnell voranschreiten als in den westlichen Industrieländern. Auch in China holt der Dienstleistungssektor auf, der inländische Konsum aber ist noch gedämpft.
- Die Kombination aus starker Wirtschaftserholung und aufgestauter Nachfrage auf der einen Seite und pandemiebedingten Angebotsengpässen auf der anderen Seite hat weltweit zu Inflationsraten über den Erwartungen geführt. Dies könnte noch länger als erwartet andauern, ein erheblicher Teil der Inflationsdynamik sollte aber vorübergehender Natur sein. Die daraus resultierende Unruhe auf den Rentenmärkten dürfte anhalten, während die mittelfristige Perspektive für Aktien auch aufgrund solider Gewinndynamik konstruktiv bleibt.
- Die Federal Reserve als wichtigste Zentralbank steht vor einem Drahtseilakt: Sie hat über ihr neues Durchschnittsinflationsziel angekündigt, die niedrigen Inflationsraten während der Pandemie durch Inflationsraten über 2 % in den Folgejahren „nachzuholen“. Gleichzeitig aber muss sie dafür sorgen, dass die Inflationserwartungen verankert bleiben. Dies könnte in den kommenden Monaten ein wichtiger Faktor für aufkommende Volatilität an den Märkten werden
- Die Mittelzuflüsse in Aktienfonds sollten auf globaler Ebene weiter anhalten, während noch viel geparkte Liquidität in Geldmarktund Anleihefonds an der Seitenlinie steckt.
Lassen Sie sich nicht hin- und herreißen,
Stefan Rondorf
Senior Investment Strategist, Global Economics & Strategy
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