Quer über die Konjunkturverläufe, die Gewinnentwicklung der Unternehmen und der Geldpolitiken tun sich Divergenzen auf.
Konjunktur: Weltweit deuten die Konjunkturdaten auf ein moderates Wirtschaftswachstum hin. Das Wachstum in den USA beschleunigt sich dabei. Mehrere Faktoren sprechen für dieses erfreuliche Wachstumsbild: Das gesamtwirtschaftliche Gewinnwachstum (ein wichtiger Frühindikator) zeigt weiter aufwärts. Der Arbeitsmarkt ist solide, wenn auch etwas schwächer als in den vergangenen Quartalen. Eine exzessive Verschuldung im Unternehmenssektor, die als Investitionsbremse wirken könnte, liegt nicht vor. Die jüngsten Zinssenkungen sorgen für lockere Finanzierungskonditionen für die USFirmen.
Die Wachstumsraten in der Eurozone sind dagegen weiterhin verhalten. Innerhalb der Währungsunion ist die erwartete Wachstumsdynamik in Deutschland und Frankreich aus strukturellen, zyklischen und politischen Gründen schwach. Deutschland, als größter Volkswirtschaft der Eurozone, könnte ein weiteres Rezessionsjahr ins Haus stehen. Die Konsensus-Prognosen lassen zumindest nur ein marginales Wachstum erwarten – das schnell unter die Null revidiert werden könnte. Die Industrieproduktion weicht deutlich gegenüber ihrem langfristigen Trend nach unten ab. Ein Ende dieser negativen Divergenz im Konjunkturbild zwischen den beiden Seiten des Atlantiks ist nicht absehbar.
Jenseits der zyklischen Disinflation, welche sich nach dem starken Inflationsanstieg in Folge des Überfalls auf die Ukraine eingestellt hatte, besteht weiterhin ein struktureller Inflationsdruck. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Die demographische Entwicklung vor allem in den Industriestaaten und das Nachwirken des Geldmengenanstiegs gehören hier ebenso dazu, wie die Transition zur treibhausgasneutralen Wirtschaft und die Trump’sche Handelspolitik.
Die zuletzt immer noch günstige zyklische Entwicklung an der Preisfront divergiert mit den strukturellen Aussichten. Die von US-Präsident Trump als wirtschaftspolitisches Mittel der Wahl angekündigten Zölle wirken inflationär. In den nächsten Wochen muss sich jetzt zeigen, was außer den jüngst angekündigten Zöllen für Kanada, Mexiko und China noch kommt bzw. in die Realität umgesetzt wird. Zu den steigenden Zollsätzen kommen eine wachsende staatliche Verschuldung. Die Ausweisung illegaler Migranten lässt das Arbeitskräftepotenzial zurückgehen, was Lohndruck erwarten lässt.
Geldpolitik: Weltweit sind die Zentralbanken überwiegend noch in Richtung geldpolitischer Lockerung unterwegs. Aber auch hier kommt es zu Divergenzen. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist die Zinstreppe einen weiteren Schritt nach unten gegangen, während ihr US-amerikanisches Pendant, die Federal Reserve Bank (Fed) erst einmal an der Seitenlinie stehen geblieben ist. Das Tempo und den Umfang weiterer Lockerungen will die EZB von den eingehenden Wirtschaftsdaten, den Inflationsaussichten, der zugrundeliegenden Inflationsdynamik und der Stärke der geldpolitischen Transmission abhängen machen. Im konjunkturellen Kontext erscheint es als wahrscheinlich, dass die Euro-Währungsgüter den Einlagensatz bis zum 3. Quartal 2025 weiter in Richtung 2 % oder sogar leicht darunter senken werden. Am US-amerikanischen Geldmarkt sind auch noch Zinsschritte zu erwarten, allerdings verhaltender, als sich dies für die Eurozone darstellt.
Unternehmensgewinne: Die Berichterstattung zur Entwicklung der Unternehmensgewinne ist in den USA naturgemäß weiter vorangeschritten als auf dem europäischen Kontinent. Auch hier zeigen sich Divergenzen. Während es bei den Firmen des S&P 500, soweit sie schon berichtet haben, in 75% der Fälle zu positiven Überraschungen kam, die sich, wenn auch in unterschiedlicher Intensität quer über die Sektoren erstrecken, gelang es den im STOXX 600 enthaltenen europäischen Firmen nur in einem geringeren Umfang, bessere Zahlen vorzulegen, als dies die Analystenschätzungen erwarten ließen. Besonders die Rohstoff- und Energiewerte hatten zu kämpfen, wenngleich auch zum Zeitpunkt des Schreibens erst relative wenige europäische Unternehmen berichtet haben.
Mit Blick auf die nächsten Quartale zeigen sich vor allem die Schätzungen für die US-Unternehmen als sehr optimistisch, was sie anfällig gegenüber einem nicht auszuschließenden früheren Ende der Fed-Zinssenkungen werden lässt. Auch innerhalb des Segments der US-Aktien zeigen sich Divergenzen: Wenn wunderts: Die Tech-Werte führen die die Erwartungen an, wenn es um die Gewinnschätzungen für die nächsten 3–5 Jahre geht.
Dabei könnte sich genau hier eine Divergenz verringern – jene zwischen den USA und China. Bis vor kurzem führten die US-Unternehmen das Rennen um die KI-Modelle an. Auf einer höheren Ebene sieht die US-Regierung die Führungsrolle der Künstlichen Intelligenz als einen entscheidenden geopolitischen Vorteil, und versucht, Chinas Zugang zu modernsten Prozessoren zu beschränken.
Das chinesische Unternehmen DeepSeek könnte jetzt zu einem Gamechanger um diese Führungsrolle werden. Die nächste Runde um die Hochtechnologie ist eröffnet. Erst eine Woche, bevor DeepSeek an die Öffentlichkeit ging, hat US-Präsident Donald Trump Projekt „Stargate“ angekündigt und bis zu 500 Mrd. US-Dollar an Investitionen über die nächsten vier Jahre versprochen. DeepSeek hatte derweil an den Aktienmärkten für eine – zumindest temporäre – Konvergenz der Kurse gesorgt und den Markt gerade der „sagenhaften 7“ durchgewirbelt. Möglicherweise ein Vorzeichen dafür, dass jetzt bei all‘ den bestehenden Divergenzen wieder mit vermehrter Volatilität zu rechnen ist.
Das Gesamtbild legt folgende taktische Allokation für Aktien und Anleihen nahe:
- Aktien profitieren derzeit vom soliden Wachstumsausblick und der Erwartung weiterer Zinssenkungen, wenn sich diese mit Blick auf die Fed auch moderieren.
- Bei den bestehenden Divergenzen und nicht auszuschließenden Überraschungen z. B. bei der Geldpolitik sollte dabei mit wieder höherer Volatilität gerechnet werden. Dies umso mehr, wenn auch die Inflationsraten wieder stärker anziehen sollten.
- Aufgrund der hohen Bewertung sind US-Aktien aber auch bei soliden Wachstumsaussichten nur noch rückschlagsicher. Die Unruhe um die chinesische KI-Firma DeepSeek kann als Zeichen der Nervosität gewertet werden, nachdem der US-amerikanische Aktienmarkt sich schon lange auf die „sagenhaften 7“ Titel fokussiert hat.
- Auf der Anleiheseite sind eine steilere Zinskurve und moderat positive Anleiherenditen das wahrscheinlichere Szenario. Allerdings ist ein temporärer weiterer Anstieg der Anleiherenditen nicht auszuschließen, falls die Wirtschaftspolitik von Präsident Trump zu einem beschleunigten Wachstum und/oder einer höheren Inflation führt.
- Innerhalb der europäischen Währungsunion sollte mit einem höheren Risikoaufschlag („Spread“) für französische („OATs“) gegenüber deutschen Staatsanleihen gerechnet werden.
- Bei einem US-Trendwachstum (nominal) von ca. 4 % liegt der Gleichgewichtszins von 10-jährigen US-Treasuries (Staatsanleihen) ebenfalls in etwa diesem Bereich. Argumentiert man ähnlich für die Eurozone bzw. Deutschland, sollte die langfristige Gleichgewichtsrendite für 10-jährige Bundesanleihen bei ca. 2 %–3 % liegen.
- Die Zinsaufschläge für Unternehmensanleihen guter („Investment Grade“) und schlechter („High Yield“) Bonität sind relativ niedrig. Solange sich aber keine Rezession abzeichnet, können Unternehmensanleihen ihren Platz im Portfolio halten. Investment Grade-Anleihen sollten dabei gegenüber High Yields bevorzugt werden. Wir erwarten allerdings keine weitere Einengung der Zinsaufschläge.
- Die relative Wachstumsstärke der USA, auch im Gefolge einer verlangsamten Zinssenkungspolitik der Fed, spricht für einen weiterhin starken US-Dollar – trotz hoher Bewertung.
Investmentthema:
Kapitaleinkommen mit Dividenden
- Im Jahr 2025 dürften die Dividenden im MSCI Europe auf ein neues Rekordhoch steigen. Unseren Berechnungen zufolge lagen die Dividenden der Unternehmen des breiten europäischen Aktienindex MSCI Europe für das Jahr 2024 bei rund 440 Mrd. Euro. Für das Jahr 2025 ist mit rund 459 Mrd. Euro an Dividenden zu rechnen.
- Dividenden haben einen – oft unterschätzten – Anteil an der Gesamtperformance einer Aktienanlage, und helfen die Gesamtperformance in Jahren negativer Kursentwicklung zu stabilisieren.
- Über den gesamten Zeitraum der letzten 40 Jahre wurde die annualisierte Gesamtrendite der Aktienanlage für den MSCI Europe zu knapp 39 % durch den Performance-Beitrag der Dividenden getragen. In Nordamerika bzw. Asien-Pazifik wurde die Gesamtperformance zu knapp 22 % bzw. etwas mehr als 41 % durch die Dividende bestimmt.
- Dabei ist es interessant, dass die Firmen selbst zu einer derjenigen, wenn nicht sogar auf Anhebung orientierten Dividendenpolitik neigen.
- Wie sich im Rückblick über die letzten Jahrzehnte z. B. für den STOXX Europa 600 enthaltenen Titel zeigt, kam es Jahr für Jahr in der Regel zu einer Erhöhung der Dividendenausschüttungen gegenüber dem Vorjahr.
- Der deutlich kleinere Teil der Unternehmen nahm Senkungen vor, sieht man von Ausnahmejahren wie 2009, dem Jahr nach Ausbruch der Globalen Finanzmarktkrise, und dem Pandemiejahr 2020 ab.
- Durch ihre stetige Entwicklung und ihren merklichen Anteil an der Gesamtrendite eignen sich Dividenden, um ein zusätzliches Einkommen aus Kapital zu erzielen.
Eine nach oben konvergierende Performance wünscht Ihnen,
Dr. Hans-Jörg Naumer
Director Global Capital Markets & Thematic Research