Zu Recht hat sich der Blick in letzter Zeit auf die auf den Assetmärkten zu beobachtenden, außergewöhnlich hohen Korrelationen und, vor diesem Hintergrund, auf die Herausforderungen für Investoren bei der Bewältigung von Investmentrisiken gerichtet. Aus unserer Sicht verwundert es nicht, dass dieses Phänomen der engen Marktkorrelationen aufgetreten ist. Denn die der Pandemie zugrunde liegenden Schocks für die Weltwirtschaft, die anschließende exzessive Lockerung der Geldpolitik, die darauf einsetzende Inflation sowie die als Konsequenz daraus erfolgten kräftigen Zinserhöhungen waren ebenfalls in den wichtigsten Wirtschaftsräumen (mit Japan und China als wohl die einzigen bedeutenden Ausnahmen) stark miteinander korreliert.
Dieser eng verzahnte Übergang ging in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres in die nächste Runde über, als es zu einer Verlangsamung der Inflationsraten in den USA und Europa kam. Der erste Impuls für diese Abschwächung lag darin, dass sich der Energie- und Lebensmittelpreisschock, der für den ursprünglichen Inflationsanstieg maßgeblich verantwortlich war, wieder normalisierte, was zu einem Rückgang der Gesamtinflation führte.
Die Notenbanken, die die Dimension und das Ausmaß der raschen Preissteigerungen unterschätzt hatten, sahen sich vor allem mit der entscheidenden Frage konfrontiert, ob die Folgewirkungen der gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel auf die Lohnentwicklung in einer anhaltend hohen Kerninflation münden würden und ob damit die Gefahr besteht, dass sie ihre Inflationsziele dauerhaft verfehlen würden.
Diesbezüglich gaben die ersten Meldungen des neuen Jahres aus dem Euroraum Grund zur Beruhigung, wenngleich sie noch keine endgültigen Schlüsse zulassen. Auf der Grundlage der saisonbereinigten Daten der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Verbraucherpreisinflation (VPI) stellen wir bei einem Vergleich des letzten Quartals 2023 (Oktober bis Dezember) mit dem 3. Quartal 2023 (Juli bis September) fest, dass die Kerninflation (annualisiert) je nach Abgrenzung zwischen 1,4% und 1,7% lag. Die Inflation im Dienstleistungssektor, in dem sich die Lohnentwicklung am stärksten bemerkbar machen dürfte, lag bei 2,3%. In beiden Fällen fällt der Vergleich mit den Preissteigerungen im Frühjahr 2023, als die annualisierte Inflation je nach Abgrenzung bei 5% bis 8% stand, ausgesprochen positiv aus .
Hier ist unseres Erachtens vor allem aus zwei Gründen Vorsicht geboten. Erstens: Änderungen an den Gewichtungsfaktoren, die in den Verbraucherpreisindex einfließen, könnten zu dem Rückgang beigetragen haben.
Zwar dürfte dies im letzten Herbst eine Rolle gespielt haben. Allerdings lässt die zum Jahresende unverändert gedämpfte Kerninflation die letztens zu beobachtende Verlangsamung zunehmend als überzeugend erscheinen. Zweitens: Die ersten im Jahr 2024 anstehenden Preisanpassungen könnten möglicherweise zeigen, dass die höheren Löhne einen dauerhaften, wenngleich sporadisch auftretenden Effekt auf die Inflation haben. Spätestens Anfang März werden aussagekräftige Zahlen zu der zugrundeliegenden Tendenz der Kerninflation vorliegen. Somit dürften wir eine konkretere Vorstellung davon haben, in welcher Form und mit welcher Geschwindigkeit die EZB auf die disinflationären Fortschritte reagieren könnte.
Für die Realwirtschaft hat diese Entwicklung mehrere Konsequenzen. Einerseits stärken fallende Inflationsraten die Kaufkraft der Verbraucher und dürften zu höheren Konsumausgaben führen. Andererseits sollten nachlassende Preissteigerungen einen Beitrag dazu leisten, die wirtschaftliche Unsicherheit zu verringern, so dass die Unternehmen eher bereit wären, neue Chancen zu ergreifen und entsprechende Investitionen zu tätigen. Die Frage, wie stark diese Auswirkungen sein werden, wird von der Resilienz der US-Wirtschaft im Hinblick auf Rezessionsrisiken abhängen und davon, wie schnell sich die Zentralbanken in der Lage sehen, ihre restriktive Geldpolitik aufzulockern, um das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln.
Die Woche voraus
Im Euroraum werden die ZEW-Konjunkturerwartungen Aufschluss darüber geben, ob sich die Stimmung unter den Investoren angesichts sinkender Inflation aufgehellt hat. Die letzten Erhebungen haben Anzeichen für eine Bodenbildung erkennen lassen und ein weiterer Anstieg könnte auf eine (voraussichtlich bescheidene) Belebung der Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2024 hindeuten. Allerdings dürften rückwärtsgerichtete Daten für die Industrieproduktion und die Bauwirtschaft nach wie vor schwach bleiben.
Die regionalen Unternehmensumfragen in den USA sind im Dezember ausgesprochen mau ausgefallen; hier sehen die Analysten im Konsens eine gewisse Verbesserung der Lage im Januar. Gleichwohl zeichnet sich eine nachlassende Konjunkturdynamik gegenüber der zweiten Hälfte 2023 ab, sodass schwächere Daten nicht überraschen würden. Das Gleiche gilt für die Einzelhandelsumsätze, die ebenfalls nächste Woche veröffentlicht werden. In Großbritannien waren die Steigerungen bei der Inflation und den Löhnen im vergangenen Jahr im Vergleich zu anderen wichtigen Volkswirtschaften überdurchschnittlich hoch. Dementsprechend bedeutend und positiv aufgenommen waren die Vorboten einer Disinflation in der zweiten Hälfte 2023. Die anstehenden Daten werden zeigen, ob der Trend bei den durchschnittlichen Einkommen weiterhin rückläufig ist. Die neuesten Zahlen lassen erwarten, dass es zu einer weiteren Entspannung auf dem Arbeitsmarkt kommen dürfte. Ausgehend von einer besonders schwachen Ausgangslage dürfte vor diesem Hintergrund mit einer moderaten Erholung der Einzelhandelsumsätze gerechnet werden.
Zu guter Letzt stellt Japan, dank der absichtlich herbeigeführten, nach wie vor außerordentlich expansiven Geldpolitik der Zentralbank, einen Ausreißer im disinflationären Trend dar. Ein steigendes Lohnwachstum weist darauf hin, dass sich höhere Inflationsraten zunehmend verfestigen. Deshalb halten wir bei den in der kommenden Woche erscheinenden Daten zum Verbraucherpreisindex (VPI) Ausschau danach, ob sich die jüngste Verlangsamung der Inflation stabilisiert hat.
Im Ergebnis gehen wir davon aus, dass sich die bescheidenen Vorteile der Disinflation nun allmählich auf die Realwirtschaft niederschlagen werden. Für die Finanzmärkte stehen die wichtigsten Entscheidungen aber noch bevor, sodass es als wahrscheinlich gilt, dass der Handel innerhalb einer gewissen Spanne (Range-Trading) stattfinden dürfte.
Sean Shepley
Senior Economist
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