Marktberichte

Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 18.08.2023

Anhaltende Divergenz?

In den letzten drei Monaten bildete eine Mischung aus der erstaunlich resilienten Entwicklung der US-amerikanischen Konjunktur und einem Abflauen des Inflationsdrucks das vorherrschende Investmentthema. Angesichts der nachlassenden Gefahr eines ausgedehnten geldpolitischen Straffungszyklus der US-Notenbank Federal Reserve ist damit die Bereitschaft der Marktteilnehmer wieder zugunsten einer Haltung risikobehafteter Anlagen gestiegen.

Unterdessen hat sich fast unbemerkt ein weiteres Thema angebahnt, das zwar bislang weniger stark in Erscheinung getreten ist, aber nach unserer Einschätzung in den kommenden Wochen an Bedeutung gewinnen könnte. Denn zeitgleich mit der sich abzeichnenden Wiederbelebung der US-Wirtschaft haben die Volkswirtschaften im Euroraum und in China deutlich an Schwung verloren.

Werden sich die Wege auf Dauer trennen oder werden sie sich im Herbst wieder zusammenführen?

Die Konjunkturzyklen sind seit der Corona-Pandemie von ähnlichen Entwicklungen geprägt: Regierungen verordneten privaten Haushalten Einschränkungen und hoben diese wieder auf, die Preise für Waren und Dienstleistungen unterlagen ungewöhnlich starken Schwankungen, da sich die Verbrauchernachfrage je nach verfügbarem Angebot schlagartig änderte, und die Unternehmen mussten sich aufgrund der Unterbrechung der Handelswege auf Lieferengpässe einstellen. Es ist zu hoffen, dass die Aufhebung der ökonomischen Einschränkungen in China zu Beginn des Jahres der letzte Schritt dieser weltweit spürbaren Krise war.

Die Wiederaufnahme der normalen Wirtschaftstätigkeit in China ging mit einer Phase konjunktureller Zuversicht im Euroraum einher, als die Unsicherheit bezüglich der Energieversorgung abnahm und die Preise zurückgingen. Der Optimismus im Euroraum wurde gewissermaßen auch durch die Hoffnung auf eine Erholung der Nachfrage aus China, zumal beide Wirtschaftsräume besonders eng miteinander verflochten sind. So profitierten in den ersten Monaten des Jahres europäische Hersteller von Luxusgütern besonders stark von der Rückkehr der Chinesen.

Mittlerweile hat sich die Stimmung deutlich ins Negative gedreht. Wir hatten damit gerechnet, dass die Wiedereröffnung Chinas vor allem Unternehmen im Dienstleistungssektor zugute kommen würde - eine Prognose, die sich in der Tat bewahrheitet hat. Allerdings haben sich die daraus entstehenden Vorteile für die Weltwirtschaft als bescheiden und von kurzer Dauer erwiesen.

Die Herausforderungen, die Stabilität des inländischen Immobiliensektors zu gewährleisten, sind heute wieder in den Vordergrund gerückt.

Auch im Euroraum ist die konjunkturelle Erholung ausgebremst worden. Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft erreichte zu Beginn des zweiten Quartals ihren Höhepunkt, wobei die Werte bei einem zyklischen Aufschwung im historischen Vergleich schwach waren. Zunächst hätte man den Eindruck gewinnen können, Deutschland sei lediglich ein Underperformer unter den noch wachsenden Euroländern. Doch im letzten Monat fielen die Produktionserwartungen französischer Hersteller deutlich in den Keller, was einen Rückgang im gesamten Euroraum vermuten ließ.

Selten hat sich in der Vergangenheit eine Erholung der USWirtschaft mit einer gleichzeitigen Abschwächung im Euroraum und in China vollzogen, und wenn, dann nur für wenige Monate. Aus diesem Grund werden die Flash-PMI-Daten in der kommenden Woche einen wichtigen Hinweis darauf liefern, ob sich der Westen und China tatsächlich in zwei verschiedene makroökonomische Richtungen entwickeln oder ob es sich nur um einen Unterschied im Ausmaß handelt.

Im Base-Case-Szenario würde eine anhaltende Erholung der Konjunktur in den USA eine bisher noch nie erreichte Produktivitätssteigerung voraussetzen, denn die Inflation liegt noch deutlich über dem angestrebten Zielwert und die US-Notenbank dürfte bei einem erneuten Rückgang der Arbeitslosenquote von ihrem aktuellen Niveau aus die geldpolitischen Zügel wieder straffer ziehen. Angesichts einer soliden Finanzlage privater Haushalte und eines nach wie vor hohen öffentlichen Haushaltsdefizits in den USA, das daraus schließen lässt, dass der Staat weiterhin einen wesentlichen Treiber der US-Nachfrage darstellt, halten wir eine weitere Divergenz zwischen den USA, dem Euroraum und China für durchaus plausibel. Außerdem dürfte eine langfristige Verbesserung der Erwartungen für das US-amerikanische verarbeitende Gewerbe eine Rolle spielen: aus den im „Inflation Reduction Act“ enthaltenen Maßnahmen und dem nach der Pandemie entstandenen Druck, die Lieferketten zurück ins eigene Land zu holen, dürften weitere konjunkturelle Impulse folgen.

Die Woche voraus

Das Hauptaugenmerk in den USA wird in der kommenden Woche auf den Vorlaufindikatoren liegen, wobei der Flash-PMI mit Blick auf die Bedeutung des amerikanischen Wirtschaftsaufschwungs für die nachhaltige Stützung der globalen Nachfrage von besonderer Relevanz ist. Erwartet wird eine Umkehr des im Juni verzeichneten starken Anstiegs der Auftragseingänge für langlebige Wirtschaftsgüter. Die Aufwärtsdynamik bei den Kernaufträgen dürfte sich jedoch fortsetzen.

Im Euroraum wird der Flash-PMI ein maßgeblicher Anhaltspunkt dafür liefern, ob die jüngste Konjunkturabschwächung weiter anhalten wird. Zusätzliche Hinweise werden auch die Ergebnisse der Unternehmensbefragungen des deutschen ifo Instituts und des französischen INSEE (Nationalen Instituts für Statistik und Wirtschaftsstudien) geben.

Der Flash-PMI in Großbritannien wird Aufschluss darüber liefern, ob die im Juni unerwartet starke Dynamik im Vereinigten Königreich auch vor dem Hintergrund einer schwächeren Entwicklung im Euroraum noch aufrechterhalten werden kann. Trotz eines sich eintrübenden Immobilienmarktes - der Hauspreisindex von Rightmove dürfte einen weiteren Abwärtstrend aufweisen - sind britische Daten in letzter Zeit positiver ausgefallen.

Zum Abschluss der Woche könnte der Einkaufsmanagerindex in Japan seine im Vergleich zu anderen Ländern anhaltend robuste Konjunktur belegen, denn das Land bildet dank geldpolitischer Lockerungsmaßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft eine Ausnahme. In diesem Zusammenhang wird der Verbraucherpreisindex für Tokio im August einen wichtigen Indikator auf die Inflationsdynamik bieten.

Zusammenfassend wird mit Blick auf das bevorstehende Ende der Sommerferien in den USA und Europa erwartet, dass die Daten im Einklang mit einer zunehmenden wirtschaftlichen Divergenz als Leitthema stehen werden.

Mit den besten Grüßen

Sean Shepley
Senior Economist


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