Seit Juni verläuft der politische Zyklus in Frankreich und Großbritannien unerwartet parallel. In den vier Monaten seit den Europawahlen sind die 10-jährigen Anleiherenditen beider Länder im Vergleich zu anderen Ländern gestiegen. In Deutschland sind die 10-jährigen Renditen seit den Europawahlen um 35 Basispunkte zurückgegangen (ein Basispunkt (Bp.) entspricht einem Hundertstel Prozentpunkt), in Frankreich dagegen um 5 Bp. und in Großbritannien lediglich um 1 Bp.
Sowohl in Frankreich als auch in Großbritannien stehen Ende dieses Monats wichtige fiskalpolitische Ereignisse an. Die Fiskalpolitik ist ein Grund für das unterdurchschnittliche Abschneiden der Fixed IncomeMärkte. In Frankreich stimmt das Parlament am 29. Oktober über neue Steuergesetze ab, und die britische Schatzkanzlerin Reeves legt ihren ersten Haushalt am 30. Oktober vor.
Blicken wir noch einmal kurz auf die bisherigen politischen Entwicklungen zurück: Nach einer Niederlage bei den Europawahlen setzte Präsident Macron in Frankreich Parlamentswahlen an, deren zweite Runde in derselben Woche stattfand wie die Parlamentswahlen in Großbritannien. In Frankreich konnte keines der wichtigen politischen Lager ein klares Mandat erringen – ganz im Gegensatz zu Großbritannien, wo die Labour Party einen Erdrutschsieg erzielte. Deshalb kam die Erwartung auf, dass die wirtschaftliche Entwicklung beider Länder geraume Zeit lang unterschiedlich verlaufen würde.
Die Umstände rund um die Wahlen haben nach wie vor beträchtlichen Einfluss auf die Fiskalpolitik. In Frankreich muss der neue Premierminister Barnier aus einer schwachen Position heraus agieren. Das Haushaltsdefizit von knapp 6% des BIP ist ein drängendes Problem. Die neue Regierung schlägt vor, die Steuersätze für Unternehmen mit einem Gewinn von über einer Milliarde Euro bzw. über drei Milliarden Euro im Jahr 2025 um 5 – 10 Prozentpunkte zu erhöhen. 2026 soll diese Steuer auf Unternehmensgewinne wieder sinken, und ab 2027 sollen die bisherigen Unternehmensteuersätze wieder gelten. Außerdem wurde eine neue Steuer auf Aktienrückkäufe eingeführt (die bisher unbefristet gelten soll).
Es überrascht nicht, dass diese wenig unternehmensfreundlichen Maßnahmen beträchtliche Auswirkungen auf die Märkte hatten. Der CAC 40 hat im Vergleich zur Situation direkt vor den Europawahlen um 5% schlechter abgeschnitten als der MSCI Europe. Die Konsensprognosen für das Wachstum von Frankreichs Bruttoinlandsprodukt (BIP) wurden im selben Zeitraum für 2025 um 0,5% gesenkt, von etwa 1,5% auf 1,0%.
In nächster Zeit sind wohl kaum Abstimmungen über politisch sensible Themen wie eine Rentenreform zu erwarten, und damit ist auch nicht mit größerer Erleichterung zu rechnen.
Im Gegensatz dazu wurden die Wachstumsprognosen für Großbritannien für 2025 seit Juni angehoben (wenn auch lediglich von 1,2% auf 1,4%), und britische Aktien haben den europäischen Small Cap-Markt seit den Europawahlen um gut 3% geschlagen.
Weshalb stehen die Renditen von britischen Staatsanleihen also unter Druck? Der Markt rechnet damit, dass auch die britische Schatzkanzlerin Reeves Steuererhöhungen ankündigt, um von der Vorgängerregierung hinterlassene Haushaltslücken zu füllen. Presseberichten zufolge könnten die Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen und die Glücksspielsteuer angehoben werden. Was die Märkte nervös macht, ist die Möglichkeit, dass die Regeln für die Staatsverschuldung geändert und die Ausgaben (sowie die Kreditaufnahme) gesteigert werden könnten.
Die neue Schatzkanzlerin hat sorgfältig ausbuchstabiert, welche Unterschiede zwischen ihrem Ansatz und dem eine Marktpanik auslösenden Haushalt der kurzlebigen Regierung von Premierministerin Truss bestehen. Voraussichtlich wird die Regierung höhere Ausgaben und Kreditaufnahmen nicht bereits jetzt vornehmen. Deshalb sollte sich der britische Rentenmarkt erholen, wenn die Bank of England vor dem Hintergrund besserer Inflationsdaten die Zinsen in den kommenden Monaten rascher senken kann. Zwischen den realen Steuererhöhungen in Frankreich und Großbritannien und den fiskalischen Versprechungen der beiden US-Präsidentschaftskandidaten besteht ein klarer Unterschied. Die USA haben in der Regel insgesamt den größten Einfluss auf die Marktentwicklung. Nichtsdestotrotz werden die fiskalpolitischen Maßnahmen in Frankreich und Großbritannien und insbesondere die Frage, ob die jeweiligen Parlamente sie verabschieden, von entscheidender Bedeutung dafür sein, ob und wie schnell die jüngste Unterperformance wieder aufgeholt werden kann.
Die Woche voraus
In der kommenden Woche dürften die Vorabschätzungen der Einkaufsmanagerindizes für die wichtigen Volkswirtschaften im Mittelpunkt stehen. Im verarbeitenden Gewerbe ist die Dynamik seit einiger Zeit gering, und es bestehen wohl nur begrenzt Aussichten auf eine Erholung, bis die Unsicherheiten aufgrund der US-Wahlen vorüber sind. Die größere Bedeutung kommt daher wohl den Einkaufsmanagerindizes für den Dienstleistungssektor zu Deren Entwicklung verlief im vergangenen Monat in den USA (solide Erholung) und im Euroraum (Rückgang nach den Olympischen Spielen) sehr unterschiedlich, sodass die neuen Daten sehr aufschlussreich sein sollten.
In Deutschland gibt der ifo-Index ein Bild der aktuellen Stimmung – und das zu einem Zeitpunkt, an dem traditionell starke Sektoren der deutschen Wirtschaft mit historischen Herausforderungen umgehen müssen. Deutschland schneidet seit über einem Jahr im Vergleich zum übrigen Euroraum relativ schwach ab und dürfte das Wachstum des gesamten Wirtschaftsraums vorerst weiter dämpfen.
In den USA könnten die Auftragseingänge für dauerhafte Gebrauchsgüter nach unten korrigiert werden, da im vergangenen Monat Streiks in einigen Sektoren stattfanden. Die Neubauverkäufe und die Anträge auf Arbeitslosenunterstützung sollten ebenfalls im Blick behalten werden.
In Japan gibt der Verbraucherpreisindex für Tokio Aufschluss darüber, wie robust die Inflationsdynamik ist. Anhand dieser Daten wird die Bank of Japan den Zeitpunkt ihrer nächsten Zinserhöhung festlegen.
Hoffen wir alle gemeinsam, dass die fiskalpolitischen Entscheidungen und die Wahlen in den kommenden Wochen mehr Klarheit bringen!
Sean Shepley
Senior Economist
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