Die Devise „sell in May and go away“, also ein Verkauf im Mai und die Rückkehr an den Markt im November, gehört seit jeher zum Kapitalanlage-Lexikon. Angeblich soll sie ihren Ursprung im alten Londoner Bankenviertel haben. Demnach sollen Banker im Mai verkauft haben, um der Sommerhitze in der Stadt zu entkommen und erst wieder am „St. Leger's Day“ (einem bekannten englischen Pferdewettrennen, die Mitte September stattfindet) zurückgekehrt sein („sell in May and go away and come back on St. Leger's Day“).
Im 20. Jahrhundert wurde dieser Spruch verkürzt und durch gewiefte Taktiker an der Wall Street bekannt gemacht, die ein historisches Phänomen festgestellt haben, wonach die Renditen des S&P 500 Index von November bis April vergleichsweise höher sind. Und schon wurde eine altenglische Binsenweisheit, die ursprünglich mit Urlaub und Pferdewetten im Zusammenhang stand, zu einem der wohl berühmtesten saisonalen Einflussfaktoren in der Finanzbranche.
Doch die jüngsten Belege für einen positiven „sell in May“-Effekt sind trotz jahrzehntelanger Forschungsarbeit durchwachsen. Studien von MarketWatch und Morningstar widersprechen sogar dieser These mit der Feststellung, dass Buy-and-Hold-Strategien genauso gut oder besser performen können.
Wie sieht also die Lage heute aus? Die Anleger sind ohnehin schon recht pessimistisch gesonnen. Die Stimmung ist gedrückt, die defensive Positionierung wächst und die Barbestände sind auf den höchsten Stand seit 2009 geklettert. In der Summe deutet dies darauf hin, dass es eher weniger Potenzial gibt, dass eine wachsende Anzahl von Investoren sich noch bärischer verhalten wird - ein möglicherweise gegenläufiges Signal.
Dafür sind die Sommerferien so beliebt wie eh und je. Für die Anleger heißt das: die knappe Liquidität kann bei enttäuschenden Meldungen die Kursbewegungen unnötig verstärken.
Man denke nur in diesem Kontext an die Tatsache, dass die USA die staatliche Schuldenobergrenze („Debt Ceiling“) bereits im Januar erreicht haben. Seitdem ist das Thema in den Hintergrund gerückt, weil das Finanzministerium einen Zahlungsausfall durch „außerordentliche Maßnahmen“ abgewendet hat.
Allerdings können diese Maßnahmen nicht unendlich verlängert werden. Solche finanziellen Schachzüge könnten sogar schon im September oder August, vielleicht auch früher, aufhören zu funktionieren. Der genaue Zeitpunkt lässt sich schwer vorhersagen, denn er hängt von den täglichen Schwankungen bei den Steuereinnahmen und Ausgaben der US-Bundesregierung ab. Zwar halten wir einen Zahlungsausfall in den USA für höchst unwahrscheinlich, doch das letzte Mal, als die Brandstifter unter den amerikanischen Politikern mit der Gefahr eines Zahlungsausfalls spielten, erfolgte im August 2011 die Herabstufung der US-Staatsanleihen.
Die Woche voraus
Neben dem Thema Debt Ceiling stehen noch weitere bedeutende Ereignisse für die Märkte am Horizont. So nimmt die Berichtssaison der Unternehmen für das erste Quartal an Fahrt auf. Wir erhalten mit den Q1-Zahlen der Banken konkretere Hinweise darauf, wie sich die Zusammenbrüche der Regionalbanken im letzten Monat auf den gesamten Sektor ausgewirkt haben. Bislang scheinen sich die unmittelbaren Auswirkungen auf größere, systemrelevante Banken in Grenzen zu halten. Rund 15% der im S&P 500 vertretenen Finanzunternehmen haben inzwischen ihre Ergebnisse vorgelegt, wobei die Gewinne stärker als von Analysten erwartet gestiegen sind.
Der Boden für die nächste Zinsentscheidung der USNotenbank Federal Reserve am 2. und 3. Mai wird durch zwei weitere Entwicklungen in den USA bereitet. Zunächst wird am Donnerstag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) für das erste Quartal veröffentlicht. Aktuell rechnet die Atlanta Fed mit einer jährlichen, saisonbereinigten Wachstumsrate von 2,5% gegenüber dem Vorquartal, die von einem Anstieg der Verbraucherausgaben um 4,2% getragen wird. Danach folgt am Freitag der PCEInflationsbericht („personal consumption expenditures“). Erwartet wird von den Analysten eine Verlangsamung der Kerninflation auf 0,28% im Monatsvergleich, was auf das Jahr hochgerechnet über dem 2%-Ziel der Fed liegt – aber wenigstens in die richtige Richtung geht.
Diesseits des Atlantiks wird die Veröffentlichung des IfoGeschäftsklimaindex für April von deutschen Anlegern aufmerksam verfolgt werden. Bisher ist er dank des ungewöhnlich warmen Winters (und billigerer Erdgaspreise), sowie der Wiedereröffnung Chinas nach dem Ende der Null-Covid-Politik sechs Monate in Folge gestiegen.
Am Donnerstag und Freitag erhalten Investoren in der Eurozone eine Vielzahl vorläufiger BIP-Schätzungen für das erste Quartal. In Frankreich wird ein stabiles Wachstum von 0,1% erwartet, in Italien könnte es sich von -0,1% auf eine Stagnation verbessern, in Deutschland von -0,4% auf Null ansteigen und in der Eurozone insgesamt unverändert bleiben (alle Zahlen ggü. Vorquartal).
In Asien stehen in Japan die Einzelhandelsumsätze, die Industrieproduktion und die Arbeitslosenzahlen für März auf dem Programm. Den Abschluss der Woche bildet dann am Freitag die erste Entscheidung der Bank of Japan unter ihrem neuen Chef, Kazuo Ueda. Während keine Änderung des Leitzinses von -0,1% zu erwarten ist, könnte Ueda vor dem Hintergrund steigender Inflation mit Fragen zu seinen Plänen für einen Ausstieg aus den außerordentlichen geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen, einschließlich der Steuerung der Zinskurve, konfrontiert werden.
Bleiben Sie dran,
Greg Meier
Director, Senior Economist, Global Economics & Strategy Allianz Capital Partners
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