Seit Jahresbeginn 2023 liegen europäische Aktien mit einem Plus von 13% in der Performance deutlich vor den sonst als stabiler Hort geltenden amerikanischen Werten. Was sind die Hintergründe? Und kann dieser Trend länger anhalten?
Zunächst bleibt die Energiekrise insbesondere die Neuordnung des Gasmarktes zu nennen. Letzten Endes ist die starke Performance eine Funktion der deutlichen Entspannung am europäischen Gasmarkt. Die Gaspreise an den Spotmärkten haben sich von EUR 350 in der Spitze im Juni letzten Jahres aktuell auf ein Niveau von EUR 50 und damit Notierungen wie zuletzt im Herbst 2021 beruhigt und liegen unter dem Vorkriegsniveau. Aus Sicht internationaler Investoren ein großer Fortschritt und eine unerwartete Erleichterung, die das Interesse an europäischen Werten schürt. Denn die Ukraine-Krise hat auch die fundamentale Bewertung europäische Werte auf Basis der Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) und Cash-Flows der Firmen in die unteren und attraktiven Bereiche der historischen Bandbreiten geführt. Nahezu alle Branchen weisen gegenüber globalen und insbesondere den vergleichbaren US-Werten deutliche Bewertungsabschläge auf. Trotz des Kursaufschwungs seit Oktober 2022 und massiver Gewinnrevisionen wegen der Krise, sowie entsprechender Rezessionsbefürchtungen, liegt das KGV europäischer Aktien bei 13 und damit unter den langfristigen historischen Durchschnitten und vor allem deutlichen unter den US-Titeln mit 19. Diese Bewertung scheint durch solide Unternehmensgewinne untermauert zu werden. So geht es europäischen Banken auf Basis des höheren Zinsniveaus deutlich besser als in der langen Nullzinsphase. Das Ende der Negativ-/Nullzinsphase führt zu besseren Zinsmargen. Einige der europäischen Banken zeigen zum ersten Mal nach der Finanzkrise wieder Milliardengewinne.
Da die Banken als sogenannte „Value“ Titel (also Werte, mit niedrigeren Bewertungskennzahlen) ein hohes Gewicht in den europäischen Indizes haben, treiben diese die Performance. Und andere Branchen kommen hinzu. Herausragende Gewinne verzeichnen einige der Konjunktur unsensibleren stabile Konsumtitel und Luxusgüterhersteller. Hier scheint ein weiterer fundamentaler Grund für die Attraktivität Europas erkennbar zu werden: die chinesische Öffnung nach der Covid-Krise und die damit einhergehende Belebung der Exporte. Die Lieferketten entspannen sich spürbar. Dies scheinen auch die traditionellen Industriebereiche zu merken. Auch hier werden im Schnitt wieder solide Gewinne erzielt. Die Liste guter Unternehmensgewinne lässt sich auf Basis der aktuell noch laufenden Berichtssaison fortsetzen, z.B. mit der Energiebranche oder den Versorgern. Steigende Zinsen beflügeln „Value“ Titel weltweit und Europa profitiert davon besonders. Dazu gehört auch der britische Aktienmarkt, der durch eine Kette politischer Probleme (Rücktritt der Premierministerin, Steuergesetzgebung) noch zusätzlich belastet war.
Nimmt man die hohen Ausgaben der Europäischen Union (EU) im Rahmen der Krisen aber auch durch den „European Green Deal“ hinzu, ergibt sich plötzlich ein ganzer Strauß von Faktoren, die europäische Titel interessant erscheinen lassen: Wiederbelebung des Handels, Investitionen, höhere Zinsen, schwächerer US-Dollar, grüne Transformation, staatliche Förderprogramme und Wiederansiedlung von wichtigen Industriesparten zu Absicherung der globalen Lieferketten.
Die Woche voraus
Natürlich muss dies weiter alles im Kontext der globalen Entwicklung gesehen werden. Die hohe Nervosität um die Ausrichtung der Zentralbankpolitik bzgl. weiterer Verschärfungen des monetären Kurses, zwingen die Markteilnehmer zu einer intensiven Betrachtung der wöchentlichen Wirtschaftsdaten. So werden in der kommenden Woche erneut Erzeugerpreise und Konsumentenpreise im Mittelpunkt des Interesses stehen. So berichten die europäischen Kernländer Deutschland, Frankreich und Italien und die EU-Inflationszahlen. Interessant dabei auch die regionale Entwicklung in Deutschland nach Bundesländern am Mittwoch. Grundsätzlich sollten die Vorjahresvergleiche in der Inflationsrate durch positive Energieeffekte geprägt sein. Aber wie stark sind andere Faktoren? Außerdem gibt es mit den finalen Einkaufsmanagerindizes von S&P Global in der Eurozone und den wichtigsten Ländern nochmal Aufschluss über den Jahresstart im produzierenden Gewerbe und bei Dienstleistungen der dort nach den ersten Trends dieser Woche überraschend positiv ausgefallen ist. Auch in China werden Einkaufsmanagerindizes veröffentlicht. Zusätzlich stehen die Importpreise, das Verbrauchervertrauen und die Arbeitslosenrate für die Eurozone an. Spannend dabei, ob schon ein verändertes Konsumverhalten und optimistischeres Geschäftsklima auf Basis niedrigerer Energiepreise zu beobachten ist.
Bricht die Produktion nicht unmittelbar ein, und sinken die Inflationsraten weiter, könnte dies die europäische Renaissance trotz weiter bestehender globaler Rezessionsängste beflügeln und sogar zu einem Trend werden lassen. Es ist Europa nach über 10 Jahren relativer Schwäche der Aktienmarktperformance gegenüber den USA zu wünschen.
Thomas Tilse
Director, Head of Portfolio Strategy Private Clients
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