Marktberichte

Amundi "Märkte" vom 05.10.2022

„Die Energiewende ist dringend und notwendig“

Aktienkurse im Rückwärtsgang, Inflation auf Rekordhoch, dazu Energiesorgen und eine Rezession voraus: Jetzt gilt es, sich umsichtig in diesem komplexen Umfeld zu positionieren. Thomas Kruse, CIO von Amundi Deutschland, analysierte die herausfordernden Märkte auf der jüngsten Amundi Investment Konferenz. Warum er trotz aller ernsten Herausforderungen keine Insolvenzwelle erwartet und wo er momentan Chancen für Anlegerinnen und Anleger erkennen kann, lesen Sie im ausführlichen Interview.

Herr Kruse, die Aktienmärkte stehen derzeit gehörig unter Druck – wie bewerten Sie die aktuelle Entwicklung?

Die US-Notenbank Fed hat zwar klargemacht, dass die Inflationsbekämpfung nun oberste Priorität – noch vor der Verhinderung einer Rezession – hat, aber die Märkte haben dieses Szenario noch nicht voll eingepreist. Wir erwarten eine abschließende Korrektur innerhalb der nächsten drei bis sechs Monate.

Wie weit wird diese gehen? Können Sie sich beispielsweise vorstellen, dass der DAX unter 10.000 Punkte fällt?

Nein, das halten wir für wenig wahrscheinlich. Natürlich wird das Niveau der Bodenbildung maßgeblich auch vom Erfolg der Notenbanken abhängen, die Inflationsbekämpfung und ihre negativen Auswirkungen auf die Konjunktur gut auszubalancieren.

Die US-Notenbank hat schon kräftig vorgelegt, wie wird die EZB mit ihrer Zinspolitik nachziehen?

In den USA sehen wir ja bereits eine Lohn-Preis-Spirale, da musste die Fed praktisch die geldpolitischen Zügel anziehen und den Leitzins konsequent anheben. In Europa sind wir dieser Entwicklung etwas hinterher, aber die rekordhohe Inflation wird unserer Einschätzung nach die EZB im Oktober nochmals zu einem größeren Zinsschritt zwingen. In den Folgemonaten erwarten wir dann noch weitere kleinere Schritte bis auf 2,75% oder 3,00%.

Was bedeutet die aktuelle Situation für Ihre Asset Allokation? Wie sind Sie derzeit generell positioniert?

Wenn man von einem grundsätzlich 50% zu 50% ausgerichteten Aktien-/Rentenportfolio ausgeht, sind wir im Aktienbereich nur noch zu 35% investiert. Bei den Anleihen sehen wir natürlich derzeit wieder ein Comeback der Staatsanleihen, das wir aktiv nutzen. Momentan sind die 10-jährigen US-Treasuries bei 4 % und deutsche Bundesanleihen bei 2,25%.

Die aktuell inverse Zinskurve – also ein höheres Zinsniveau für kurzfristig Anleihen im Vergleich zu den länger laufenden – gilt ja auch als Rezessionssignal. Welches Wachstum erwarten Sie denn im Euroraum für dieses und nächstes Jahr?

Wir rechnen für 2022 immer noch mit 2,9% Wachstum des Bruttosozialprodukts in der Eurozone – Stichwort Corona-Nachholeffekte –, für 2023 erwarten wir 0,3%, wobei einzelne Quartale möglicherweise negativ sein könnten.

Einer der Hauptbelastungsfaktoren für die Wirtschaft – aber auch Inflationstreiber – sind die gestiegenen Energiekosten. Vor allem der hohe Gaspreis bereitet vielen Menschen Sorge. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Das wird für diesen Winter eine echte Herausforderung, weil wir das nun kurzfristig verkraften müssen. Aber wir denken, dass sich die Unternehmen und auch der Staat zunehmend darauf einstellen und Alternativen finden werden. Dann wird sich die Problematik im nächsten Jahr voraussichtlich wieder etwas abschwächen.

Deutschland ist ja ein Industriestandort mit besonders hohem Energiebedarf. Rechnen Sie kurzfristig mit einer Insolvenzwelle?

Es dürfte zu einigen Insolvenzen kommen, aber wir rechnen nicht mit einer regelrechten Welle. Wir sind überzeugt, dass die Industrie ein Erfolgsfaktor bleiben wird. Ihre hohe Flexibilität beweist sie ja auch bei anderen strukturellen Entwicklungen, etwa im Bereich der Elektromobilität. Und generell sorgt der Wandel des Energiesektors für Wachstumspotenziale in der Industrie. Etwa wenn wir auf die Beispiele der Energieinfrastruktur oder das Feld der Erneuerbaren Energien schauen.

Es hat den Anschein, als würde Putin aktuell auch innerhalb Russlands unter Druck kommen. Könnte der Krieg sogar früher enden und damit das Energieproblem entschärfen?

In der Tat, Putin verliert an Zuspruch und die Mobilmachung funktioniert nicht reibungslos. Aber ob damit gleich das Kriegsende naht, ist schwer zu beurteilen. Doch selbst wenn dies erfreulicherweise der Fall wäre: Die Sanktionen werden bestimmt nicht schnell zurückgenommen. So bleiben uns speziell die Gassorgen tendenziell erhalten, was im Übrigen nochmals die Dringlichkeit und Notwendigkeit der Energiewende unterstreicht. Deshalb sind wir hier ja auch bei Amundi so stark engagiert.

Welche Branchen, Sektoren und Regionen haben Sie aktuell denn noch im Blick, wenn es um Investmentchancen geht?

Neben den genannten Erneuerbaren Energien sehen wir beispielsweise selektiv Softwarelösungen oder Medizintechnik mit gutem Potenzial. Auch halten wir derzeit manch zyklische Unternehmen mit niedrigen KGVs für vergleichsweise günstig, etwa im Automobilbereich. Beim Blick auf die Regionen sehen wir die USA momentan mit Vorteilen – deshalb sind wir dort auch am stärksten investiert.


Rechtliche Hinweise

Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 28.09.2022. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.