Positive und negative Signale wechseln derzeit an den Märkten, oft in schneller Folge. Thomas Kruse, CIO von Amundi Deutschland, setzt deshalb auf eine differenzierte Analyse wichtiger Marktthemen wie Konjunktur, Inflation, Geld- oder Geopolitik. Warum die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession nun im Jahresverlauf zunimmt, aber diese voraussichtlich mild verlaufen wird, erläutert der Stratege im ausführlichen Interview
Welche Auswirkungen der jüngsten Krisen rund um die Silicon Valley Bank und die Credit Suisse sehen Sie für den gesamten Bankensektor?
Zuerst muss man sehen, dass sich die beiden Fälle deutlich unterscheiden: Die Silicon Valley Bank hat Probleme bekommen, weil in den USA die Zinskurve invers ist. Also die Zinsen der 2jährigen Anleihen höher sind, als die der 10jährigen. Das hat dazu geführt, dass die Bank für Einlagen verhältnismäßig hohe Zinsen zahlen musste, sie aber bei langfristigen Kredite nur relativ niedrige Zinserträge einnehmen konnte. In Europa könnte es beispielsweise aufgrund regulatorischer Vorschriften zu so einer Situation kaum kommen. Der Fall Credit Suisse ist etwas anderes: Als systemrelevante, alteingesessene Bank hatte sie eine besondere Position. Nachdem sie bereits im Oktober letzten Jahres Probleme hatte, musste nun recht schnell gehandelt werden. Und man hat mit der Übernahme durch die UBS aus unserer Sicht eine gute Lösung gefunden. Die UBS steigt direkt in die Verbindlichkeiten der Credit Suisse ein, was einen Flächenbrand weitgehend verhindert hat. Eine Abwicklung oder die Verstaatlichung hätten nach unserer Auffassung deutlich ungünstigere Folgen für den Sektor gehabt.
Wie bewerten Sie diese Risiken mit Blick auf die Konjunktur?
Abseits der eben ausgeführten momentanen Entwarnung für einen Flächenbrand in der Finanzbranche muss man sehen, dass die Kapitalkosten für die Banken auch wegen der geschilderten Krisenfälle höher ausfallen. Das dürfte generell das Kreditgeschäft beeinflussen. Die Banken werden tendenziell weniger und defensiver Kredite an Unternehmen ausgeben, was wiederum die Konjunkturaussichten belasten dürfte. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die Zentralbanken wegen der hohen Inflation ja auch zu weiteren Zinserhöhungen genötigt sehen könnten, was letztlich zusätzlich das geringe Wachstum einbremsen würde.
Wie, erwarten Sie, wird sich der Russland-Ukraine-Krieg weiter entwickeln?
Da sehen wir ja momentan eine Art Patt, das letztlich beide Seiten ermüden dürfte und somit eventuell sogar ein Fenster für Friedensverhandlungen eröffnen könnte. Unser Amundi Research Institut führt die Möglichkeit eines Waffenstillstands zum Jahresende sogar als Hauptszenario – wenn auch mit einer relativ geringen Wahrscheinlichkeit von rund 30 %. Allerdings weist diese Analyse auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Verfestigung des Krieges aus. Anleger können sich also im Vorfeld diesbezüglich schwer positionieren. Doch uns hilft sehr, dass wir die Szenarien vorgedacht haben und dann sehr schnell in unseren Portfolios reagieren können, wenn sich das eine oder andere dann durchsetzt.
Das Thema Inflation haben Sie bereits als weiteres wichtiges Thema benannt. Der Preisauftrieb scheint ja nun gestoppt, wenn man die jüngsten Zahlen aus den USA und Europa betrachtet. Haben wir da vielleicht schon die höchsten Raten und somit auch Leitzinssätze zu deren Bekämpfung gesehen?
Wenn ich mir die allgemeinen Inflationszahlen anschaue, dann haben wir die Höchststände wahrscheinlich schon gesehen. In den USA bereits im Juni letzten Jahres und in Europa im Oktober. Was sich aber als äußerst hartnäckig herausstellt, ist die Kerninflation: Also der Preisauftrieb ohne Energiekosten sowie ohne Nahrungsmittelpreise. Wir stagnieren hier in Amerika und bei uns in Europa auf jeweils relativ hohem Niveau. Eine interessante Studie der Notenbank von Atlanta hat kürzlich untersucht, inwieweit die aktuelle Kerninflation aus kurzfristigen Effekten oder eher langfristigen, etwa auf Lohneffekten basierenden Entwicklungen, besteht. Ergebnis: Die sich schnell zurückbildenden Effekte sind bereits raus aus der Inflationsrechnung. Was also erst einmal bleibt, sind die hartnäckigen Effekte. Das bringt die Notenbanken wiederum in Zugzwang und macht es für sie schwierig, die Länge und die Höhe des Leitzinsanstiegs zur Inflationsbekämpfung zu justieren.
Besteht zudem die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale?
Das ist der Punkt: Wir haben in den USA schon letztes Jahr ein hohes Lohnwachstum gesehen, so um die 5,5 bis 6 %. Dieses Jahr dann nochmal aktuell rund 4,5 % obendrauf. Die Lohnforderungen und teilweise bereits die Tarifabschlüsse in Europa und Deutschland liegen auch hoch. So könnten die höheren Einkommen wiederum die Konsumentenpreise nähren. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Inflation beispielsweise in Europa nicht vor 2025 wieder Richtung 2% zurückkommt. Die Notenbanken bleiben also gefordert.
Bedeutet das auch, dass die Rezessionsgefahr wieder ein Thema wird?
Sicher, diese bleibt ein Thema. Nicht zuletzt, da ja auch der Chef der US-Notenbank Powell im Herbst signalisiert hatte, dass er für die Inflationsbekämpfung ein paar Schrammen beim Wachstum in Kauf nehmen wird. Wir rechnen deshalb nun im zweiten und dritten Quartal mit einer leichten Rezession in den USA. Dafür sprechen zudem die inverse Zinsstruktur und bestimmte Frühindikatoren. Aber wir sehen auch entlastende Faktoren, wie den robusten Arbeitsmarkt oder die recht gute Liquiditätsversorgung. In Summe ergibt das zwar Hinweise auf eine höhere Rezessionswahrscheinlichkeit, aber dann sozusagen in einer milden Variante.
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