Das Jahr begann mit einer Rallye, die vor allem durch die Rückkehr der Risikobereitschaft der Privatanleger ausgelöst wurde. Die Situation wurde durch einige Faktoren begünstigt, zumindest in Europa und China, wo niedrigere Gaspreise und die Wiederöffnung Chinas dazu beitrugen, einige der wirtschaftlichen Abwärtsrisiken zu beseitigen, die im letzten Jahr auf dem Tisch lagen.
Die Rallye ist nach unserer Auffassung jedoch zu weit gegangen, die Märkte gingen dabei von der Annahme aus, dass die Inflation schnell sinkt, die Aufgabe der Zentralbanken erledigt ist und die Wirtschaft auf einem guten Weg zu einer sanften Landung ist, ohne dass es zu einer Gewinnrezession kommt.
Die Herausforderungen für die Investoren beginnen aber erst. Ein Bärenmarkt dürfte eher nicht kommen, aber eine gewisse Vorsicht ist von nun an geboten. Die Kluft zwischen lockeren Finanzbedingungen und strengen Kreditvergabestandards für die Realwirtschaft ist auffällig.
Die Märkte preisen trotz der großen Unsicherheit und der Divergenzen an der Wirtschaftsfront nach wie vor ein perfektes Umfeld ein. Wir haben zwar kürzlich unsere Prognosen für 2023 insgesamt angehoben, doch der Teufel steckt im Detail. Unsere BIP-Prognose für die USA bleibt unverändert, aber wir sehen eine nachlassende quartalsweise Dynamik in der zweiten Jahreshälfte. Für die Eurozone haben wir unsere BIP-Prognosen für 2023 nach oben korrigiert, was jedoch hauptsächlich auf Ausstrahlungseffekte aus dem letzten Jahr zurückzuführen ist, und die Wachstumserwartungen bleiben flach. Die Wiederöffnung der chinesischen Wirtschaft ist eindeutig positiv für die Weltwirtschaft, aber wir glauben, dass dies hauptsächlich die inländische Entwicklung unterstützen wird.
Außerdem geht die Inflation nur langsam zurück, während die Märkte von einem raschen Rückgang ausgehen. Der Weg zum 2%-Ziel der Zentralbanken dürfte lang und holprig sein. Was die Zentralbanken betrifft, so sehen wir, dass die US-Notenbank Fed kurz vor dem Ende der geldpolitischen Straffung steht, aber die EZB ist immer noch restriktiv. Und es kehrt das Interesse an den Emerging Markets zurück, bei den Industrieländern hingegen überwiegt die Vorsicht.
Vor diesem fragmentierten Hintergrund sollten Investoren unserer Meinung nach vorsichtig bleiben, sich aber bewusst sein, dass die Unsicherheit sowohl nach oben wie auch nach unten groß ist. Daher haben wir einige unserer wichtigsten Überzeugungen aktualisiert:
- Übergreifende Perspektive: Über die Assetklassen hinweg betrachtet, bleiben wir bei Aktien vorsichtig, da die Risiko-Rallye angesichts des Drucks auf die Unternehmensgewinne möglicherweise zu weit gegangen ist. Wir sehen jedoch die Möglichkeit, über Optionen von möglichem Aufwärtspotenzial bei Aktien zu profitieren. Wir glauben, dass das gedämpfte Reallohnwachstum die Nachfrage und die Konsumausgaben in den USA und Europa schwach halten wird, was sich letztlich auf die Unternehmensgewinne auswirken wird. Investoren sollten eine starke Diversifizierung durch Öl und Devisen beibehalten und die Absicherung durch Aktien-Absicherungsstrategien und Gold verstärken.
- Anleihen: Investoren sollten Chancen aus der divergierenden Geldpolitik nutzen und Investment Grade-Unternehmensanleihen – also Anleihen hoher Bonität – den Vorzug geben. Während wir bei der Duration – ein Maß für die Zinssensitivität von Anleihen – weiterhin defensiv bleiben, vor allem bei Kerneuropa und Japan, sind wir bei Großbritannien und China wieder zu einer neutralen Einschätzung zurückgekehrt. Bei US-Anleihen hingegen sind wir aufgrund der Erwartung einer weiteren Abschwächung der Wachstumsaussichten und der Verschärfung der finanziellen Bedingungen im letzten Jahr zu einer leicht positiven Durationseinschätzung gelangt. Bei Unternehmensanleihen bekräftigen wir unsere vorsichtige Haltung gegenüber Hochzins-Anleihen, bei denen sich die Aussichten in Bezug auf Ausfallrisiken verschlechtern. Wir bevorzugen weiterhin Investment Grade-Unternehmensanleihen ⎼ insbesondere in Europa, wo die Bewertungen günstiger sind als in den USA.
- Aktien: Wir sind mit Blick auf die USA vorsichtig, bevorzugen aber Value- und Qualitätswerte sowie Industrie- und Finanzwerte gegenüber den Sektoren Technologie und zyklische Konsumgüter. Obwohl die niedrigeren Energiepreise den Druck auf Haushalte und Verbraucher in gewissem Maße verringern, sind die Schocks für das Reallohnwachstum und die fiskalische Belastung beträchtlich und werden sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Dies bedeutet, dass der Konsum gedämpft bleiben wird, und die aktuelle Gewinnsaison liefert Anzeichen in Form eines negativen EPS-Wachstums (Earnings per Share – Gewinn pro Aktie) im vierten Quartal für den S&P 500. Aus Sicht des Investmentstils sollten Investoren Value-Titel mit Qualitäts- und Dividendentiteln kombinieren, die das Einkommen ergänzen können. Unsere Gesamteinschätzung zeigt, wie wichtig es ist, Unternehmen mit starker Preissetzungsmacht auszumachen.
- Schwellenländer: Die Aussichten für die Emerging Markets verbessern sich. Wir haben unsere Einschätzung zu den Emerging Markets-Währungsmärkten jetzt angehoben, da der US-Dollar aufgrund einer voraussichtlich weniger aggressiven Fed in diesem Jahr nachgeben wird und wir davon ausgehen, dass der Höhepunkt des US-Dollar hinter uns liegt. Obwohl wir Emerging Markets-Währungen nach wie vor neutral bis leicht zurückhaltend gegenüberstehen, glauben wir, dass sich die Anlageklasse in diesem Jahr gut entwickeln kann. Unsere Einschätzungen werden zum Teil durch die schwachen Wachstumsaussichten für dieses Jahr abgeschwächt. Wir haben mehr Vertrauen in die lokalen Währungen der Schwellenländer, insbesondere in Lateinamerika. Bei den Aktien haben wir unsere positive Einstellung zu China verstärkt und sind der Meinung, dass die Wiederöffnung der chinesischen Wirtschaft für die Länder, die enge Handelsbeziehungen zu China unterhalten, positiv sein dürfte. In Bezug auf Indien sind wir jedoch kurzfristig wegen der Bewertungen vorsichtig geworden, aber langfristig betrachtet bleibt die Story intakt.
Von Vincent Mortier, Group CIO Amundi und Matteo Germano, Deputy Group CIO Amundi
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