Das zweite Quartal des Jahres dürfte zunehmend schwieriger werden für Tech-Aktien, und weckt Erinnerungen an das Platzen der Tech-Blase in den 2000er Jahren. Die Kurskorrekturen aufgrund der offensiveren Haltung der US-Notenbank Fed waren drastisch, die realen Renditen stiegen – der Zinssatz für 10-jährige TIPS, also inflationsgeschützte US-Schatzanleihen, ist zum ersten Mal seit 2020 positiv.
Bei den nominalen Zinssätzen erreichte die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen vorübergehend die 3%-Marke und fiel wegen der Bedenken über das Wirtschaftswachstum auf knapp 2,75%. Die Zinsen sind nun auf einem Niveau, das nach unserer Auffassung eine Neujustierung der Vermögensallokation erforderlich machen könnte.
Die aus unserer Sicht wichtigsten Themen, um künftige Marktrichtungen zu identifizieren, sind folgende:
(1) Stagflationäre Risiken
Der globale Kampf zwischen Wachstum und Inflation entwickelt sich offenbar ungleich, wobei das Hauptthema der Übergang von steigender Inflation und robustem Wachstum zu geringerem Wachstum und anhaltend hoher Inflation ist. Um dem Rechnung zu tragen, geht unser Hauptszenario bereits von regionalen Divergenzen aus (technische Rezession für die Eurozone, hingegen US-Wachstum zwar unter dem Potenzial, aber keine Rezession im Jahr 2022).
(2) Chinas wirtschaftliche Aussichten
Für 2022 sehen wir ein Wachstum von 3,5% angesichts der allgemeinen Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit seit März, des verlängerten Lockdowns in Shanghai und der Beschränkungen bei der Expansion in andere Regionen. Diese Faktoren werden nach unserer Auffassung das Wachstum vor allem im zweiten Quartal beeinträchtigen, während wir im zweiten Halbjahr dank einer gezielteren politischen Unterstützung eine Erholung erwarten.
(3) Die Zentralbanken
In ihrem Kampf gegen die Inflation und vor allem, um ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren, dürften sich die Zentralbanken weiterhin auf die Kommunikation konzentrieren, während sie de facto "hinter der Kurve" bleiben. In diesem Kampf dürfte die EZB vor größeren Herausforderungen stehen als andere Zentralbanken: Die Auswirkungen des Russland-Ukraine-Konflikts und der Verschärfung der finanziellen Bedingungen werden in den einzelnen Ländern aller Voraussicht nach ungleich sein. Die hohe Verschuldung und die höheren wirtschaftlichen Risiken in der Euro-Peripherie könnten den Handlungsspielraum der EZB einschränken.
(4) Märkte und Gewinnwachstumserwartungen
Wir sind der Auffassung, dass die Gewinnerwartungen der Unternehmen durchweg zu optimistisch sind. Wir erwarten, dass das EPS-Wachstum (Gewinn je Aktie) in den USA zwischen 5% und 9% liegen wird, unterstützt durch Rückkäufe (der Konsens liegt bei +9,8%), und dass Europa möglicherweise in eine Gewinnrezession eintreten wird.
All dies bedeutet, dass ein baldiges Ende des gegenwärtig schwachen Marktumfelds nur schwer abzusehen ist, so dass wir zwar eine insgesamt neutrale Risikoeinstellung beibehalten, jedoch einige Anpassungen für gerechtfertigt halten.
- Aus einer übergreifenden Perspektive, was die Anlageklassen betrifft, sind wir der Meinung, dass man die Diversifizierung weiter erhöhen sollte, ohne dabei das Risiko zu erhöhen. Um dies zu erreichen, sind wir bei Aktien etwas vorsichtiger geworden – insbesondere in Bezug auf Europa. Während wir US-Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating (hohe Bonität) positiver gegenüberstehen, behalten wir unsere relative Präferenz für US-Aktien bei, da die Wachstumserwartungen für die US-Wirtschaft stabiler sein dürften, und der US-Aktienmarkt ein höheres Gewinnwachstumspotenzial aufweisen sollte. Aus Gründen der Diversifizierung und als Absicherung gegen das nach wie vor hohe geopolitische Risiko sind wir auch für Öl positiv gestimmt.
- Bei Anleihen haben wir unsere Positionierung in kurzen Durations-Bereichen – Duration ist ein Maß für die Zinssensitivität von Anleihen – weiter reduziert, insbesondere in Europa, aber auch in den USA – und wir sind der Meinung, dass man sich in Richtung Neutralität bewegen sollte. Die Risiken bei den nominalen Renditen sind nach den jüngsten Bewegungen unserer Meinung nach nun symmetrischer, da auf der einen Seite die Inflation Aufwärtsrisiken bergen sollte, während auf der anderen Seite die geopolitische und wirtschaftliche Unsicherheit Abwärtsbewegungen begünstigen könnte. Bei Unternehmensanleihen konzentrieren wir uns weiterhin auf die Qualität und sind vorsichtiger bei risikoreicheren Segmenten in Europa. Wir bleiben bei unserer positiven Einschätzung von Schwellenländeranleihen in Hartwährung aufgrund ihrer attraktiven Bewertungen und ihres Engagements in Rohstoffexporteuren. Bei den Währungen bleiben wir bei unserer positiven Einschätzung des US-Dollars gegenüber dem Euro.
- Die Unsicherheit in Bezug auf Aktien ist nach wie vor groß, da die Märkte die kommende Ertragsentwicklung neu bewerten dürften. Regional bevorzugen wir weiterhin die USA gegenüber Europa, während wir bei Schwellenländern neutral bleiben. Wir bevorzugen nach wie vor Substanzwerte, verstärken aber weiterhin die Ausrichtung auf Qualität. In den Schwellenländern sind wir gegenüber Asien aufgrund des Inflationsdrucks und der hohen Bewertungen vorsichtiger geworden, während wir gegenüber Brasilien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Indonesien weiterhin positiv eingestellt sind. In China sind die meisten schlechten Nachrichten offenbar bereits eingepreist: Ein wirtschaftlicher Aufschwung, gepaart mit einer freundlicheren Regulierung, sollte den Weg für einen Aufschwung im zweiten Halbjahr ebnen.
Auch wenn die "große Preisanpassung" bei Aktien und Anleihen noch nicht vorbei sein dürfte, halten wir eine gewisse Pause und eine anhaltende Rotation innerhalb des Marktes für wahrscheinlich, da dieser auf mehr Klarheit über die Inflations-/Wachstumsaussichten wartet. In diesen unsicheren Zeiten sollte man sich weiterhin auf eine einzeltitelorientierte Auswahl konzentrieren, da dies dabei helfen kann, die widerstandsfähigsten Werte zu finden, aber man sollte aus unserer Sicht auch nach Gelegenheiten Ausschau halten, die während der Neubewertungsphase möglicherweise übermäßig benachteiligt wurden.
Von Vincent Mortier, Group CIO Amundi und Matteo Germano, Deputy Group CIO Amundi
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