Anja Schulz ist FDP-Bundestags-Abgeordnete, gelernte Bankkaufrau, freie Finanzmaklerin und Expertin zum Thema Altersvorsorge. Als Gastreferentin des beliebten CIO Marktupdate-Calls von Amundi erläuterte sie die aktuellen Rentenreformpläne der Bundesregierung.
Frau Schulz, warum besteht gerade in Deutschland ein so großer Bedarf, das Rentensystem grundlegend zu reformieren?
Zuallererst steht unsere gesetzliche Rente unter enormem demografischem Druck: Bei der Einführung der umlagefinanzierten Rente kamen auf einen Rentner sechs aktive Einzahler. Heute steht dieses Verhältnis bei 1 zu 1,8. Das kann perspektivisch nicht gut gehen. Hinzu kommt, dass die Renten wegen der erfreulicherweise gestiegenen Lebenserwartung auch immer länger bezogen werden – statt früher durchschnittlich 10 Jahre nun rund 20 Jahre. Mittlerweile müssen wir die gesetzliche Rente mit etwa 100 Mrd. Euro aus dem Bundeshaushalt bezuschussen. Außerdem ist die deutsche Bevölkerung im internationalen Vergleich auch nicht so wohlhabend, dass sie die vielfach bereits existierende Versorgungslücke durchwegs selbst kompensieren könnte. Sowohl bei der Wohneigentumsquote als auch den Pro-Kopf-Vermögen liegen wir international zurück. Insbesondere die fehlende Aktienkultur ist da ein signifikantes Hemmnis.
Inwiefern?
Die Sparanstrengungen sind in Deutschland sogar überdurchschnittlich, doch fließt das meiste Geld in wenig rentierliche Sichteinlagen wie Sparbücher oder Tagesgeldkonten. Die langfristig höheren Renditechancen der Aktien kommen so in weiten Teilen der Bevölkerung nicht an. Ein Umstand, der gerade in Zeiten hoher Inflation besonders schmerzlich sein kann.
Was können wir also tun, um die finanzielle Versorgung unserer Bevölkerung im Ruhestand besser zu gewährleisten?
Allgemein gesprochen muss die Rentenversicherung unabhängiger von der demografischen Entwicklung werden. Andere Länder machen es vor: Der Kapitalmarkt ist hier das richtige Instrument. Auch sollten wir die Aktienkultur konsequent stärken. Und in der betrieblichen und privaten Altersvorsorge müssen Garantien zurückgefahren sowie der Zugang vereinfacht werden, um eine bessere Versorgung breiter Bevölkerungsschichten zu fördern.
Welche politischen Pläne verfolgen Sie konkret?
Wir von der FDP hatten das Prinzip der Aktienrente nach schwedischem Vorbild favorisiert. Der dortige staatliche Standardfonds AP7 ist ein großer Erfolg, in den die Mehrheit der Schweden einzahlt und damit individuelle Rentenansprüche erwirbt. Die langfristig durchschnittliche Rendite von etwa 11 % überzeugt und zeigt, wie wirkungsvoll Kapitalaufbau an den Finanzmärkten sein kann. Da wir aber in einer Regierungskoalition mit Partnern sind, die andere Schwerpunkte setzen wollen, verfolgen wir in der Ampel-Regierung nun den Kompromiss eines an den Finanzmärkten investierten Generationenkapitals, das die Rentenkasse stützen und so den Anstieg des Rentenbeitrags bremsen bzw. den Beitragssatz stabil halten soll. Eine höhere Rentenzahlung ist somit also nicht das erklärte Ziel des Generationenkapitals.
Wie funktioniert das im Detail?
Wir planen einen aus Steuermitteln statt aus Beiträgen finanzierten Fonds, in den auch Kredite des Bundes einfließen. Wir möchten mit 10 Mrd. Euro beginnen, die Summe soll jedes Jahr steigen. Um den etwaigen Zugriff künftiger politischer Mehrheiten auf die Gelder des Fonds zu unterbinden und so die Zweckbindung zu garantieren, wird der Fonds einen entsprechenden Stiftungsmantel bekommen. Es ist zudem geplant, das Management des Fonds in die Hände der Experten des KENFO (Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung) zu legen. Das KENFO-Fondsmanagement hat seine Expertise in den vergangenen Jahren mit einer überzeugenden Performance bereits belegt.
Was sind Ihre Pläne für die private und auch die betriebliche Säule der Altersvorsorge?
In den wenigsten Fällen wird die gesetzliche Rente reichen, um den Lebensstandard zu halten. Das zeigt auch, wie wichtig die beiden anderen Säulen der Altersvorsorge sind. Allerdings haben nur 53% der Deutschen einen Anspruch auf betriebliche Renten, das ist alles andere als flächendeckend. Hier wollen wir die gesetzlichen Bedingungen deutlich verbessern, gerade was Haftungsrisiken für Arbeitgeber angeht. Mit dem „Betriebsrentenstärkungsgesetz“ wurde die Möglichkeit geschaffen, eine reine Beitragszusage anzubieten. Aber dieses Gesetz gilt nur für tarifgebundene Unternehmen. Für die Mehrheit der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wollen wir von der FDP nun Möglichkeiten schaffen, sich auch unkompliziert an den Instrumenten beteiligen. Und in der privaten Altersvorsorge müssen wir in Zukunft deutlich mehr Möglichkeiten, als sie Riesterprodukte bieten, zulassen. Entsprechend freut es mich, dass die von der Bundesregierung eingesetzte „Fokusgruppe private Altersvorsorge“ unter anderem vorgeschlagen hat, ein förderfähiges Altersvorsorgedepot zu etablieren. Wir Liberale haben seit langem für eine Lösung geworben, bei der den Anlegern die Wahl über die jeweilige Anlageform überlassen wird. Mit dem nun vorgeschlagenen AV-Depot könnte beispielsweise mit ETFs und ohne Versicherungsmantel die individuelle Chance-Risiko-Neigung des künftigen Rentners abgebildet werden. Daneben brauchen wir eine bessere Förderung von Selbstständigen – denn immer mehr Arbeitsbiografien umfassen heute auch Phasen der Selbstständigkeit.
Wie weit sind Sie bei der Umsetzung dieser Pläne?
Aktuell erarbeitet das Finanzministerium Reformvorschläge. Ich gehe davon aus, dass zuerst Eckpunkte vorgelegt werden und dann die Empfehlungen der Fokusgruppe „Private Altersvorsoge“ berücksichtigt werden. Wir erwarten, dass im Laufe des nächsten Jahres die gesetzgeberischen Änderungen kommen sollten, die dann im Parlament beraten werden.
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