Wie sehr die konkrete Dekarbonisierung der Wirtschaft drängt und wie weit die Finanzindustrie in Sachen Verantwortung bereits ist, zeigten drei ausgewiesene ESG-Experten auf der jüngsten Amundi Investment Konferenz: Dr. Andreas Steinert, Head of ESG bei Amundi, Helen Windischbauer, Head of Multi Asset Retail Solutions bei Amundi und Silvie Kreibiehl, Leitautorin des Finanzierungskapitels im aktuellen Weltklimabericht.
Warum gerade Asset Managern eine Schlüsselrolle bei der nötigen Transformation der Wirtschaft zukommt und die Risiken des Klimawandels Teil der Finanzanalyse sein sollten, verdeutlicht das ausführliche Interview.
Frau Kreibiehl, wo stehen wir eigentlich mit unseren Bemühungen zur Dekarbonisierung aktuell?
Bei allen erzielten Erfolgen in Sachen Klimaschutz müssen wir leider feststellen, dass wir das Pariser Klimaziel, die Erderwärmung auf 1,5 – 2 Grad zu begrenzen, als Weltgemeinschaft so nicht erreichen werden. Wir brauchen jetzt eine signifikante, kurzfristige Reduzierung der Emissionen, und nicht in ferner Zukunft. Global betrachtet steigen die CO2-Emissionen derzeit sogar noch an, das ist ernüchternd. Noch immer sind Finanzierungsflüsse in fossile Energien größer als die für Klimaschutz und -anpassung.
Herr Dr. Steinert, welche Rolle kann ein Vermögensverwalter wie Amundi bei der Bewältigung dieser Herausforderung spielen?
Wir sind davon überzeugt, dass wir gerade als Europas größter Asset Manager eine besondere Verantwortung haben und diese auch ausfüllen können. Deshalb haben wir unser Engagement für mehr Nachhaltigkeit mit dem Strategieplan „Ambition 2025“ weiter intensiviert. Wir sind ohnehin schon Pionier und einer der Marktführer des verantwortungsbewussten Investierens, sehen aber auch, dass die bisherigen Ziele nicht ausreichen und wir auch mehr tun können. Dazu verfolgen wir aktuell drei strategische Ziele, die ganz klar auf mehr Klimaschutz ausgerichtet sind: Die Stärkung der Ausrichtung der Produktpalette auf „Net Zero“, die Ausweitung unseres ESG-Engagements im Dialog mit weiteren 1.000 Unternehmen sowie die Optimierung interner Prozesse zur Erreichung des Konzernziels „Null-Emission“.
Auf welche Weise wollen Sie denn das Ziel „Net Zero“ als Investor konkret erreichen?
Wir senken die CO2-Emissionen unserer Net-Zero-Portfolios kontinuierlich jedes Jahr soweit ab, dass wir die CO2-Intensität bis 2030 bereits um 50% reduziert haben und noch vor 2050 das Ziel „Net Zero“ realisieren können. Hierzu haben wir beispielsweise eine Reihe von Portfolios auf „Paris Aligned Benchmarks“ umgestellt, die 50% CO2 im Vergleich zum jeweiligen Standardindex einsparen. Von diesen Modellen, die eher auf rückblickender Datenerhebung basieren, kommen wir nun immer mehr zu prospektiven Tools. Etwa Temperature-Scores und SBTi- Zielsetzungen, die sich auf aktuelle, wissenschaftliche Erkenntnisse stützen und die Realisierung detailliert messbarer Reduktionsziele auf Einzeltitelebene ermöglichen.
Frau Windischbauer, wie sieht denn die Berücksichtigung von ESG-Kriterien in der täglichen Anlagepraxis aus?
Da sind wir schon sehr weit: Wir arbeiten bereits täglich in unserem Portfoliomanagementsystem mit Instrumenten, die uns die Auswirkungen eines einzelnen Investments auf die CO2-Bilanz des gesamten Portfolios sehr genau über entsprechende Scores anzeigen. Wenn man bedenkt, dass die nachhaltigen Benchmarks (PAB und CTB), die wir verwenden, erst rund zwei Jahre alt sind, ist das schon erstaunlich. Ich bin deshalb auch zuversichtlich, dass sich die Möglichkeiten für uns Investoren in Sachen Dekarbonisierung in den nächsten Jahren noch weiter stark verbessern können.
Frau Kreibiehl, sind Sie mit dieser Entwicklung auch zufrieden?
Das Bewusstsein für die Dringlichkeit des Klimaschutzes ist sehr hilfreich. Ich bin aber auch überzeugt, dass die Branche die Risiken, die sich aus dem Verfehlen der Klimaziele ergeben können, aber auch die Auswirkungen des Klimawandels, den wir bereits nicht mehr verhindern können, noch immer unterschätzt werden und in die Finanzanalyse integriert werden müssen. Nur so können zum Beispiel deutlich höhere Investitionsniveaus während der Transformationsphase, aber auch die Verletzlichkeit der Lieferkette angemessen in der Unternehmensbewertung reflektiert werden.
Wie weit sind Sie denn in diesem Punkt, Frau Windischbauer?
Ich stimme Frau Kreibiehl voll zu. Für Amundi kann ich sagen, dass wir die Kosten auf dem Weg zu „Net Zero“ bei der Unternehmensbewertung bereits mit einkalkulieren. Zudem werden wir schon bald eine strukturelle Lösung für die Herausforderung, diese Zusammenhänge in belastbare Daten zu fassen, einsatzfähig haben. Da fühlen wir uns der eigenen Historie als Nachhaltigkeitspionier sehr verpflichtet und wollen vorangehen. Wie Herr Dr. Steinert erwähnte, reicht allerdings die reine Datenfixierung nicht aus: Deshalb begleiten wir die Unternehmen auch im Dialog und versuchen sie von der Notwendigkeit einer nachhaltigen Unternehmensstrategie zu überzeugen.
Welche Erwartungen tragen denn die Kunden in Sachen Nachhaltigkeit und ESG an Sie heran?
Die Kundenwünsche hinsichtlich mehr Verantwortung sind selbstverständlich sehr heterogen und reichen von Investoren, die sehr strikte Selektion und Kriterien wünschen, bis hin zu denen, die Nachhaltigkeit als ein Ziel unter vielen interpretieren. Deshalb wollen wir unsere ESG-Fondspalette für individuelle Bedürfnisse auch konsequent weiter ausdifferenzieren – das gilt für unsere aktiv gemanagten Fonds genauso wie für unsere ETFs.
Frau Kreibiehl, was wünschen Sie sich für die Zukunft von der Finanzbranche?
Der Zugang zu Kapital bleibt ein wesentlicher Treiber der Transformation, deshalb spielt der Finanzsektor eine Schlüsselrolle. Insbesondere bei der Analyse von klimabezogenen finanziellen Risiken besteht Aufholbedarf im Finanzsektor. Die Transformation erfordert in den kommenden Jahren deutlich höhere Investitionen in den Umbau der Industrie auf allen Ebenen der Lieferkette als bisher. Eine Vielzahl von Investitionsentscheidungen muss parallel getroffen werden; es bleibt wenig Zeit, um Vertrauen in neue Rahmenbedingungen aufzubauen. Stattdessen müssen diese auf Basis der gemeinsamen langfristigen Ziele erfolgen. Eine vertrauensvolle und proaktive Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Finanzindustrie ist dafür unbedingt notwendig.
Rechtliche Hinweise
Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Informationen in diesem Dokument von Amundi Asset Management und sind aktuell mit Stand 10.05.2022. Die in diesem Dokument vertretenen Einschätzungen der Entwicklung von Wirtschaft und Märkten sind die gegenwärtige Meinung von Amundi Asset Management. Diese Einschätzungen können sich jederzeit aufgrund von Marktentwicklungen oder anderer Faktoren ändern. Es ist nicht gewährleistet, dass sich Länder, Märkte oder Sektoren so entwickeln wie erwartet. Diese Einschätzungen sind nicht als Anlageberatung, Empfehlungen für bestimmte Wertpapiere oder Indikation zum Handel im Auftrag bestimmter Produkte von Amundi Asset Management zu sehen. Es besteht keine Garantie, dass die erörterten Prognosen tatsächlich eintreten oder dass sich diese Entwicklungen fortsetzen.