Der erste Monat des Krieges zwischen Russland und der Ukraine hat die Volatilität auf breiter Ebene in die Höhe getrieben, auch wenn es in letzter Zeit Anzeichen für eine Stabilisierung der Aktienmärkte gab. Europa ist die Region, die von den Auswirkungen des Krieges am stärksten betroffen sein dürfte – insbesondere durch die höheren Energiepreise, Unterbrechungen der Versorgungskette und die geografische Nähe, aber die Rohstoffverknappung geht weit über den Energiesektor hinaus und umfasst auch Agrarrohstoffe und Metalle.
Vor diesem Hintergrund ist die Nachfrage nach Gold als „sicherer Hafen“ nach wie vor groß, während die Renditen von Staatsanleihen in letzter Zeit durch höhere Inflations- und Zinserwartungen getrieben wurden und sich über die gesamte Zinskurve nach oben bewegten.
Während die Unsicherheit hinsichtlich des Ukraine-Kriegs weiterhin groß bleibt, versuchen die Märkte einzuschätzen, welche zusätzlichen Sanktionen gegen Russland noch verhängt werden könnten oder ob die nächsten diplomatischen Schritte produktiver werden könnten, oder – im ungünstigsten Fall – welche Risiken sich aus einer zeitlichen und geografischen Ausdehnung der Krise ergeben.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind nach unserer Auffassung vier Fragen von entscheidender Bedeutung für eine Neubewertung des Anlageverhaltens:
(1) Steuern wir auf eine globale Rezession zu?
Unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Anstiegs der Rohstoffpreise haben wir unsere globale Wachstumsprognose für 2022 um 0,5% nach unten korrigiert (jetzt in einer Spanne von 3,3 – 3,7%), aber die Auswirkungen sind nicht über alle Länder hinweg einheitlich. Die USA sind zwar nicht immun, scheinen aber widerstandsfähiger gegen den Schock zu sein als die Eurozone. Eine globale Rezession dürfte abgewendet werden, während für Europa eher die Gefahr einer technischen Rezession besteht.
(2) Wie hoch ist das Risiko von geldpolitischen Fehlern der Notenbanken?
Die Aufgabe der Zentralbanken ist nicht einfach, und das Potenzial für geldpolitische Fehler ist unserer Meinung nach hoch, insbesondere auf der Ebene der EZB, angesichts der ungewisseren Wirtschaftsaussichten – auch auf der Ebene der einzelnen Länder – und der zunehmenden Gefahr einer Fragmentierung in der Eurozone. Auch für die US-Notenbank Fed ist es nicht einfach. Obwohl sie die Zinsen zum ersten Mal seit 2018 angehoben hat, bleibt sie unserer Ansicht nach weiterhin „hinter der Kurve“ und muss möglicherweise ihren politischen Kurs in einem Umfeld anpassen, in dem das Thema Inflation in der politischen Debatte in aller Munde ist.
(3) Wie hoch ist das Risiko eines Liquiditätsengpasses?
Die Liquidität ist in allen wichtigen Anlageklassen zurückgegangen, und die Markttiefe hat sich durchweg verschlechtert. Zwar sehen wir derzeit kein nennenswertes Risiko eines Liquiditätsengpasses, aber die Notwendigkeit, wachsam zu bleiben und Liquiditätspolster aufzubauen, ist nach unserer Auffassung groß.
(4) Märkte: Wie fortgeschritten ist die Erholung von „Value“?
Wir bestätigen unsere vorsichtige Haltung, sind uns aber bewusst, dass sich in naher Zukunft Einstiegsmöglichkeiten ergeben könnten, und sind daher bereit, unsere Risikoposition taktisch anzupassen. Eine Erholung von „Value“ – also wertorientierter Aktien – ist zwar im Gange, aber sie ist noch unvollständig und fragmentiert. Insbesondere bleibt abzuwarten, wie sich die Maßnahmen der Fed und der EZB in der Praxis auswirken werden. Dies ist Grund für etwas Geduld, denn zusätzliche Volatilität in der Zukunft könnte möglicherweise Einstiegsmöglichkeiten bieten.
Vor diesem Hintergrund lauten unsere wichtigsten Überzeugungen wie folgt:
- Die langfristigen Zinssätze bleiben in einem anhaltend hohen Inflationsumfeld aus unserer Sicht zu niedrig. Die jüngsten Richtungsänderungen der Zentralbanken, hin zu einer restriktiveren Haltung, bestätigen, dass die Zinsen nach oben gerichtet sind. Wir halten weiterhin tendenziell an einer kurzen Duration fest (durchschnittliche Kapitalbindungsdauer – ein Maß für die Zinssensitivität von Anleihen), gehen aber weiterhin taktisch vor bei der Anpassung unserer Positionierung in der Duration, da dies in turbulenten Zeiten zur Absicherung beitragen kann.
- Bei Aktien halten wir an unserer Value-Tendenz fest, mit noch stärkerem Fokus auf Qualität, um durch die Krise zu navigieren. Es ist nach wie vor wichtig, sehr selektiv vorzugehen und auf Unternehmen mit starken Geschäftsmodellen und der Fähigkeit, höhere Preise an die Konsumenten weiterzugeben, zu achten. Auf regionaler Ebene dürften die USA weiterhin widerstandsfähiger sein als Europa, wo das Risiko einer Gewinnrezession höher ist. Deshalb schätzen wir US-Aktien gegenüber europäischen Aktien relativ positiv ein. Unser Ausblick für chinesische Aktien ist aufgrund der erhöhten regulatorischen Risiken und der extremen Volatilität taktisch vorsichtiger.
- Bei Unternehmensanleihen beziehen sich die Risiken in dieser Phase eher auf Liquidität als auf Fundamentaldaten, wie wir meinen. Die finanziellen Rahmenbedingungen werden zunehmend restriktiver, daher ist es wichtig, nach Liquiditätsrisiken Ausschau zu halten. Bei Hochzinsanleihen sind wir generell vorsichtiger – insbesondere in Europa, wo eine weitere Ausweitung der Kreditaufschläge möglich ist.
- Die Volatilität dürfte mit Sicherheit hoch bleiben, und obwohl es bereits kräftige Marktkorrekturen gab, halten wir an Absicherungsstrategien gegen den ungewissen Ausgang der Krise fest. Um widerstandsfähigere Portfolios aufzubauen, sollte man sich unserer Meinung nach außerdem weiterhin auf Möglichkeiten zur Diversifizierung konzentrieren. Zu diesem Zweck könnte man chinesische Staatsanleihen mit einer langfristigen Perspektive in Betracht ziehen. Auch Währungen können bei der Diversifizierung eine Rolle spielen. Hier favorisieren wir den Schweizer Franken, da er in Zeiten gestresster Märkte eine gewisse Anziehungskraft besitzt.
Wir sind der Auffassung, dass Investoren der Versuchung widerstehen sollten, die Asset-Allokation aggressiver auszurichten, da die Vorhersehbarkeit immer noch zu gering ist. Aus unserer Sicht ist es außerdem wichtig, die Portfoliokonstruktion bei der Suche nach widerstandsfähigen Bereichen weiterhin unter dem Blickwinkel der Inflation (und der Realzinsen) zu betrachten.
Von Vincent Mortier, Group CIO Amundi und Matteo Germano, Deputy Group CIO Amundi
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