- Die Pandemie hat die weltweite Versorgung der Produkt-- und Arbeitsmärkte aus dem Gleichgewicht gebracht.
- Die Trends, die der aktuellen Disruption zugrunde liegen, sollten jedoch temporär sein.
- Für die Märkte bedeutet das, dass das starke globale Wachstum voraussichtlich weiter anhalten wird, allerdings noch für eine Weile mit Engpässen und erhöhter Inflation zu rechnen ist.
Es herrscht Überfluss
Die letzten zwanzig Jahre herrschte ein Überangebot in der Weltwirtschaft und schon vor der Corona-Krise gab es einen Überfluss an Ersparnissen. Zusammen mit dem beschleunigten Aufbau von Zentralbankreserven hat dies den schon lange bestehenden Abwärtstrend der weltweiten Anleiherenditen abgeschwächt. Dank des Aufstiegs Chinas zum weltweit führenden Produzenten und Exporteur und dem allgemeinen Trend zur Globalisierung mangelte es nicht an Konsumgütern. Billige Arbeitskräfte in den Entwicklungsländern und eine – bis vor kurzem – liberale Einwanderungspolitik in den Industrieländern sorgten dafür, dass viele Arbeitskräfte zu Niedriglöhnen beschäftigt werden konnten. Da durch die Digitalisierung viele Arbeitsplätze aus der Lieferkette wegfielen, ist es zudem kein Wunder, dass die Inflation niedrig war und blieb – selbst als sich die Zentralbanken von ihrem historischen Ansatz verabschiedeten und den Wunsch nach einer höheren Inflation äußerten.
Angebot und Nachfrage sind fragmentiert
Der Pandemiebedingte „Shutdown“ der Weltwirtschaft hat dieses Narrativ in Frage gestellt, da Angebot und Nachfrage durch die Maßnahmen fragmentiert worden sind. Wo das Gleichgewicht liegt, ist schwer zu erkennen. In den USA stellt sich die entscheidende Frage, ob die Inflation dauerhaft ansteigen könnte, wenn die Wirtschaft eine aktuell um 2,3 Prozent höhere Arbeitslosenquote als Ende 2019 aufweist. Das bedeutet fünf Millionen Beschäftigte weniger. Doch derzeit werden an den Märkten nur der Arbeitskräftemangel und steigende Löhne diskutiert. Ausbrüche von Corona-Infektionen stören dabei weiterhin die Produktion in den globalen Lieferketten. So mangelt es beispielsweise im Vereinigten Königreich an Arbeitskräften zum Auffüllen von Regalen, sofern die Waren denn an Geschäfte und Supermärkte geliefert werden. Das passiert aber nicht, da es an LKW-Fahrern mangelt. Die Pandemie und der Brexit haben den britischen Arbeitsmarkt gemeinsam aus dem Gleichgewicht gebracht.
Arbeiten – gleich und doch anders
Auch das Arbeitsverhalten könnte sich geändert haben. Zum Beispiel werden Elternbedürfnisse, Arbeitslosenunterstützung im Zuge der Pandemie und Freistellungsregelungen als Gründe für den temporären Ausfall von Arbeitnehmern genannt. Ein Arbeitskräftemangel entsteht nicht, weil es einen absoluten Mangel an Menschen gibt, die beschäftigt werden könnten. Er ist oft das Ergebnis von Missverhältnissen, veränderter Mobilität, institutionellen Faktoren und dem Verhältnis zwischen Lohn und Leistung. Einige Finanzunternehmen haben große Lohnerhöhungen für jüngere Mitarbeiter angekündigt. Dabei stellt sich die Frage, ob es sich dabei um eine reaktive oder präventive Maßnahme handelt, wenn junge Fachkräfte nach den Erfahrungen der letzten siebzehn Monate vielleicht nicht mehr fünf Tage pro Woche ins Büro kommen und zwölf Stunden arbeiten wollen.
Engpässe bei Halbleitern
Eine Vielzahl an Faktoren beeinträchtigen das Angebot an Rohstoffen, Industrie- und Konsumgütern. Die Nachfrage war dank der Notfallliquiditäts- und Einkommensstützungsmaßnahmen, die seit März 2020 in Kraft sind, kein wirkliches Problem. Doch die Engpässe bei Halbleitern wirkt sich auf die Produktion von Konsumgütern und Kraftfahrzeugen aus. Der in der vergangenen Woche veröffentlichte Juli-Bericht des Instituts für Angebotmanagement (Institute for Supply Management, ISM) aus den USA zeigt, dass die Lagerbestände auf einem Rekordtief liegen, obwohl der Index für den Auftragsbestand in den letzten Monaten ein Rekordhoch erreicht hat.
Die Nachfrage ist stark
Die Weltwirtschaft ist in der modernen Geschichte noch nie so stark eingebrochen wie im Jahr 2020. und die Pandemie ist noch nicht ausgestanden. Es gibt weiterhin alle Arten von Versorgungsunterbrechungen. Diese könnten sich in schwächeren BIP-Daten niederschlagen, da rückläufige Lagerbestände und Produktionsschwierigkeiten in den Statistiken erfasst werden. So werden auch die Inflationssorgen noch eine Weile bestehen. Die optimistischere Sichtweise ist jedoch, dass das stärkere Wachstum noch einige Zeit anhalten wird, da die Produktion hochgefahren wird und vermehrt Neueinstellung vorgenommen werden, um den Auftragsbestand und die starke Nachfrage zu decken. Auf der Nachfrageseite sollte es keine Bedenken geben: Die Beschäftigung nimmt zu, die Einkünfte sind insgesamt stabil geblieben und die Löhne steigen. Darüber hinaus stützen die fiskalischen Anreize und die Vermögenseffekte des geldpolitisch bedingten Anstiegs der weltweiten Vermögenspreise die starke Nachfrage.
Wie es weitergeht
1. Es ist davon auszugehen, dass diese Trends vorübergehend sind. Das Angebot wird sich mit der Zeit wieder erholen, und die Arbeitsmärkte werden sich beruhigen, wenn die Urlaubsregelungen und Pandemiebeihilfen auslaufen. Was auch immer die vierteljährlichen BIP-Zahlen durch den Abbau von Lagerbeständen belastet, wird durch Produktionssteigerungen wieder ausgeglichen werden. Die Rückstände in der gesamten Lieferkette dürften sich auflösen. Wir können jedoch nicht sicher sein, wie lange dies andauern wird. Die Delta-Variante des Coronavirus ist weltweit ein großes Problem und könnte die Angebotsseite noch eine Weile beeinträchtigen. Normalerweise bauen die Konsumgüterunternehmen ihre Lagerbestände rechtzeitig für die Weihnachtszeit auf, was sich dieses Jahr allerdings schwierig gestalten wird, vor allem in der Unterhaltungselektronik. Die Preisgestaltung könnte durchaus als Regulierungsmechanismus eingesetzt werden, was bedeutet, dass die Inflation noch eine Weile hoch bleiben könnte.
2. All das bedeutet für die Märkte, dass das globale Wachstum wahrscheinlich in seiner Stärke anhalten wird, allerdings auch noch für eine Weile mit Engpässen und erhöhter Inflation zu rechnen ist. Unternehmen haben heute eine größere Preissetzungsmacht als in den letzten Jahren. Dies sollte vernünftige Gewinne ermöglichen, solange die höheren Kosten weitergegeben werden können. Im Allgemeinen sollten sich Aktien gut entwickeln. Bei festverzinslichen Wertpapieren hat die Volatilität der Zinsen zugenommen, und die Renditen werden einerseits durch Inflations- und „Tapering“-Sorgen und andererseits durch die starke technische Nachfrage beeinflusst. Dennoch gibt es für die Renditen zehnjähriger US-Anleihen zum Jahresende weniger Prognosen von zwei Prozent als zuvor.
3. Die Aktienrenditen schlagen die Inflation, die Anleiherenditen nicht. Dies wird unserer Meinung nach auch wahrscheinlich so fortbestehen. Bei inflationsgebundenen Anleihen in den USA wird eine mittelfristige Inflation von 2,4 Prozent erwartet, die jedoch in den nächsten Monaten deutlich höher liegen dürfte. Angesichts der Ungewissheit über die Dauer des Inflationsrückgangs halten wir Break-Evens nicht für besonders teuer, aber das bedeutet wiederum, dass nominale Anleihen hoch bepreist sind.
4. Das Überangebot hat sich durch die Pandemie in eine Lieferunterbrechung gewandelt, wobei politisch motivierte Themen wie Protektionismus und Brexit die Situation noch verschärfen. Während Versorgungsprobleme ein Zeichen für die Stärke der Nachfrage und die allgemeine Erholung sind, stellen sie einige Unternehmen vor Probleme. Ein europäischer Windturbinenhersteller gab diese Woche bekannt, dass er sein Gewinnziel wegen steigender Materialpreise, Einschränkungen in der Lieferkette und Corona-Beschränkungen verfehlt hat, obwohl er einen sehr guten Auftragsbestand hat. Aktienanleger müssen sich also auf das Bestandsmanagement der Unternehmen, Probleme mit den Arbeitskräften und die Kostenkontrolle konzentrieren. Auch auf lokaler Ebene gibt es Herausforderungen. Die Brexit-bedingten Handels- und Arbeitsmarktprobleme des Vereinigten Königreichs könnten länger als die Pandemiebedingten Schwierigkeiten bestehen bleiben.
5. Was nicht beeinträchtigt wurde, ist das weltweite Angebot an verfügbaren Ersparnissen. Dies ermöglicht es Unternehmen und Haushalten weiterhin, ihre Kreditkosten sehr niedrig zu halten, in realer Rechnung sogar negativ. Solange sich dies nicht ändert, können wir zuversichtlich sein, dass die Weltwirtschaft weiterhin florieren kann, und hoffen, dass ein großer Teil dieses Kapitals noch stärker in die Bekämpfung des Klimawandels fließt. Der jüngste IPCC-Bericht und die ständige Nachrichtenflut über Waldbrände unterstreichen die dringende Notwendigkeit, die rasche Einführung sauberer Technologien zu finanzieren, ebenso wie die Stilllegung von Tätigkeiten, die das meiste Kohlendioxid erzeugen. Die entscheidenden langfristigen Risiken für die Versorgungsketten gehen vom Klimawandel und von extremen Wetterbedingungen aus, und wenn die Versorgungskurve dadurch nach links verschoben wird, kann sie nicht wiederhergestellt werden.
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