Wenngleich die von der Unsicherheit betroffenen Bereiche Anlagechancen bargen – und immer noch bergen –, war ihre Häufung eine Mahnung zur Vorsicht. Wie sieht es heute aus? Während die Ungewissheiten auf den Märkten weiter bestehen, hat sich der von ihnen geworfene Schatten in den vergangenen Wochen aufgehellt.
Rufen wir uns in Erinnerung, dass sich die größten Sorgen vorrangig auf drei Bereiche konzentrieren:
Der Kampf der Zentralbanken gegen die Inflation: Da die restriktive Geldpolitik beiderseits des Atlantiks die doppelte Wirkung einer Liquiditätsverknappung und einer Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit hat, muss man sich die Frage stellen, wie viel es braucht, um die Inflationserwartungen zu dämpfen. Das Risiko einer schweren Rezession wiesen wir zurück und tun es immer noch, da das Interesse der Politik an einem markanten Anstieg der Arbeitslosigkeit gering ist. Zudem hat sich das Risiko einer durch die anhaltend restriktive Geldpolitik hervorgerufenen ausgeprägten Konjunkturschwäche angesichts einer seit kurzem drohenden Finanzkrise in den USA erheblich verringert. Denn der starke Anstieg der Zinssätze hat viele mittelgroße Banken in Schwierigkeiten gebracht, da Einlagen abflossen und Vermögenswerte an Wert verloren. Diese Banken, die allein etwa 50 Prozent aller Kredite vergeben, werden ihre Tätigkeit wahrscheinlich erheblich einschränken. Die daraus resultierende Verschlechterung der finanziellen Bedingungen wird es der Fed schwer machen, die Zinssätze weiter anzuheben. Die Bekämpfung der Inflation dürfte daher auf ein Minimum heruntergefahren werden.
Welche Konsequenzen hat das für die Vermögensverwaltung? Der anhaltende Rückgang der Realzinssätze wird in Verbindung mit einer leichten Konjunkturschwäche in den USA Aktien mit transparenten Gewinnprognosen begünstigen und einen weiteren Kursanstieg des Euros gegenüber dem Dollar auslösen. Gold wird von einem Umfeld moderaten Wachstums bei anhaltend hoher Inflation profitieren.
Europa und geopolitische Risiken: Wenngleich die Bewertungen europäischer Anlagen durch den weniger ehrgeizigen Rhythmus der geldpolitischen Straffung in den USA zweifellos Auftrieb erhalten werden, könnte die Krux an der Sache woanders liegen. Die Offensive der Ukraine, die wir für die nächsten Wochen erwarten, würde – so sie erfolgreich sein sollte – Wladimir Putins Position weiter schwächen und eine Palastrevolution möglich machen. Dies könnte zu einer dauerhaften Lösung der europäischen Energiekrise führen und den Inflationsdruck in Europa deutlich mindern.
Das Erwachen der chinesischen Wirtschaft: Entgegen unseren ursprünglichen Erwartungen hat sich der Ausstieg Chinas aus seiner Null-Covid-Politik nicht in einer Wiederbelebung der Wirtschaftstätigkeit niedergeschlagen, die den Entbehrungen vor allem der chinesischen Verbraucher in den vergangenen zwei Jahren gleichzusetzen wäre. Chinesische Aktien könnten sich jedoch eines wiederbelebten Interesses erfreuen, wenn ein Führungswechsel in Russland Xi Jinping dazu ermutigt, eine weniger autarke Politik und eine stärkere Liberalisierung der chinesischen Wirtschaft zu verfolgen.
Die die Anlageprognosen seit vergangenem Oktober belastenden Unsicherheiten dürften somit zunehmend ausgeräumt werden. Wir könnten sogar einige unerwartete positive Entwicklungen erleben.
Mit freundlichen Grüßen.
Edouard Carmignac
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