Sehr geehrte Damen und Herren,
was für ein Halbjahr! Innerhalb von sechs Monaten erlebten die Märkte Kursbewegungen, die zu den markantesten der Nachkriegszeit gehören. Die Zinsen zehnjähriger Staatsanleihen kletterten beiderseits des Atlantiks um 1,5% und führten dazu, dass diese als risikoarm geltenden Anleihen um nahezu 12% zurückfielen, während die internationalen Börsen um 13,2% einknickten und die Erdölpreise um 36% zulegten
Wo liegt die Ursache dieser heftigen Destabilisierung? Eine außer Kontrolle geratene Inflation erfordert die Einführung restriktiver Geldpolitiken. Diese werden auf dem weltweiten Wachstum lasten, das bereits durch die nachlassende Kaufkraft infolge der Preiserhöhungen erschüttert wurde. In den üblichen Zyklen achten die Zentralbanken darauf, die Inflation zu verringern, indem sie eine von übermäßiger Nachfrage getragene Konjunktur abschwächen. Im Gegensatz dazu müssen sie nun handeln, weil ein unzureichendes Angebot die hartnäckige Preissteigerung noch weiter antreibt.
In meinen letzten Briefen sprach ich über meine Sorge vor den Spannungen, die durch die Corona-Pandemie ausgelöst wurden – sei es vor vorübergehenden Spannungen in den Produktionskreisläufen, sei es vor länger anhaltenden Spannungen auf dem Arbeitsmarkt. Hinzu kamen die Mehrkosten für Energie, die sich einerseits aus den mangelnden Investitionen der vergangenen Jahre in fossile Energien ergaben und andererseits aus dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Einmarsch in die Ukraine hat diese Spannungen durch das Zusammentreffen von Energie- und Nahrungsmittelkrise ausgelöst. Vor drei Monaten schrieb ich, es sei angesichts der Schwäche der russischen Wirtschaft unwahrscheinlich, dass sich Wladimir Putin in einen lang anhaltenden Konflikt begibt, sofern er nicht den Zusammenbruch seiner Wirtschaft und seines Regimes riskieren will. Damit unterschätzte ich seinen Durchhaltewillen, der von dem Streben angetrieben wird, Russland seine historischen Grenzen zurückzugeben.
Welche Erwartungen haben wir nun an die kommenden Monate? Es steht zu befürchten, dass Putin seine Drohung wahr macht, die Gasversorgung in Europa noch weiter einzuschränken. Damit würde unser Kontinent unvermeidlich in eine Rezession geführt. Unsere offenkundig gewordene Verwundbarkeit wird sich in einer Abwertung europäischer Anlagen zeigen. Dies schließt natürlich auch den Euro mit ein. Deutschland ist bereits betroffen, denn es verzeichnet erstmals seit 30 Jahren wieder ein Handelsbilanzdefizit. Dagegen erscheint der Ausblick für China erfreulicher. Das Land ist von der Inflation kaum berührt und profitiert davon, dass Programme zur Stützung der Wirtschaft aus dem Boden sprießen. Die USA sind von der Energie- und Nahrungsmittelkrise weniger bedroht. Sie müssen mit einer Geldpolitik der FED umgehen, deren restriktiver Charakter mit dem erwarteten Konjunkturrückgang allerdings abnehmen dürfte. Diese Entwicklung wird Werten mit klarem Ausblick vermutlich zugutekommen. Seit einem Jahr spielten ihnen die Märkte übel mit. Nun dürfte ihr robustes Wachstum wieder Wertschätzung erfahren.
Auf diesen schwierigen, aber chancenreichen Märkten werden wir darauf bedacht sein, im Umgang mit den Risiken unserer Portfolios besondere Sorgfalt walten zu lassen. Gerne will ich noch erfolgreicher dazu beitragen, dass Sie in dieser angstbesetzten Zeit gelassen bleiben. Ich wünsche Ihnen unbeschwerte Ferien.
Mit freundlichen Grüßen
Edouard Carmignac
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