Marktberichte

Carmignac "Flash Note" vom 12.05.2023

Schwellenländer: Kurs auf Osteuropa

Relativ solide makroökonomische Fundamentaldaten, Nearshoring, attraktive Zinsen: Man muss nicht in die Ferne schweifen, um vom Schwellenländerpotenzial zu profitieren.

Genau wie Asien und Lateinamerika bieten die Schwellenländer der EMEA-Region (Europa, Naher Osten und Afrika) Anlegern interessante Chancen. Zu der Region gehören rohstoffreiche Gebiete und diversifizierte Volkswirtschaften, in denen die Agrarindustrie oder die verarbeitende Industrie führend sind. Sie ist jedoch durch starke Ungleichgewichte zwischen den einzelnen Ländern gekennzeichnet.

Daher muss man sich mit den Besonderheiten eines jeden Landes beschäftigen, um unter Berücksichtigung der entsprechenden Risiken vielversprechende Märkte und Anlagen zu ermitteln. Auch wenn die Ukraine-Krise in Osteuropa im Mittelpunkt steht, sind ihre Auswirkungen in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Einige der Länder bieten heute ein interessantes Renditepotenzial, insbesondere für Anleihenanleger, die eine Diversifizierung anstreben.
Osteuropa: Schwellenländerpotenzial in direkter Nähe

Mehr als ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sind die vielfältigen humanitären, politischen und wirtschaftlichen Folgen, die sich daraus ergeben, weltweit noch immer offensichtlich. Die Länder in Osteuropa wurden in besonderem Maße erschüttert. Die durch den Konflikt ausgelösten Spannungen und die Sanktionen der westlichen Länder gegenüber Russland führten zu einer ernsten Energiekrise. Dies gilt insbesondere in Europa, das sich in einer starken Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern aus Russland befindet.

In Verbindung mit den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und der aus ihr resultierenden Geldpolitik führte die Energiekrise die Welt in ein neues inflationäres Umfeld wie wir es seit Jahrzehnten nicht gekannt haben. Allerdings konnten einige osteuropäische Länder, die kurz nach der Pandemie einen Zinsanhebungszyklus einleiteten, diesen allgemeinen Preisanstieg bis zu einem gewissen Grad eindämmen – und das trotz der starken Verschlechterung ihrer Wirtschaftsbeziehungen mit Russland. Bei der Umsetzung ihrer Geldpolitik ermöglichte ihnen dies einen größeren Handlungsspielraum als den Industrieländern.

Nachdem die Inflation ein sehr hohes Niveau erreicht hat, dürften einige Länder wie Ungarn, Polen oder Tschechien zu den ersten gehören, die ausgehend von einem aktuell sehr attraktiven Niveau einen Zinssenkungszyklus einleiten.

Parallel dazu haben die durch die Ukraine-Krise ausgelösten Spannungen einige Unternehmen in der Europäischen Union dazu veranlasst, alternative Lösungen zu suchen, um Ungewissheiten in Verbindung mit den Lieferketten abzufedern. Dazu verlegten sie einen Teil ihrer Produktionsaktivitäten nach Osteuropa, da hier qualifizierte Arbeitskräfte zu wettbewerbsfähigeren Kosten zu finden sind.

In dieser neuen geopolitischen Ordnung bieten einige Länder der Region, die von dieser Dynamik profitieren und solidere Fundamentaldaten nachweisen, attraktive langfristige Chancen, z. B. auf dem ungarischen und dem rumänischen Anleihenmarkt. Angesichts des immer noch unsicheren Umfelds ist eine aktive und flexible Verwaltung wesentlich, um von diesen Chancen zu profitieren und dabei Klippen zu umschiffen.

Vielfalt in Rumänien

Dank seiner diversifizierten Wirtschaft, den vielfältigen Erdgas-Beschaffungsquellen und der Produktion erneuerbarer Energien kann Rumänien die direkten wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf sein Staatsgebiet eindämmen.

Tatsächlich ist Rumänien die siebtgrößte Volkswirtschaft der Europäischen Union.1 Das Land ist in Schlüsselsektoren wie verarbeitende Industrie, Landwirtschaft, Energie, Automobilindustrie und Dienstleistungen aktiv. Als der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ausbrach und sich die Sanktionen gegen Russland verschärften, konnte Rumänien auf seine eigenen Kohle-, Erdöl- und Erdgasvorkommen sowie auf seine Produktion erneuerbarer Energien setzen und sich anderen Lieferanten zuwenden.

Die Verschlechterung der Handelsbeziehungen zwischen den westlichen Ländern und Russland verstärkte auch das Nearshoring zugunsten Rumäniens. Die Ungewissheiten in Verbindung mit dem Krieg und die Steigerung der Produktionskosten infolge der Energiekrise veranlassten zahlreiche angrenzende Länder dazu, einige ihrer Aktivitäten nach Rumänien auszulagern, denn das Land bietet wettbewerbsfähige Kosten und qualifizierte Arbeitskräfte.

Von der allgemeinen Rückkehr der Inflation wurde Rumänien nicht verschont. Das Land hat jedoch schnell reagiert und versucht, der Inflation entgegenzuwirken. Die rumänische Zentralbank hob ihre Leitzinsen an und erreichte im Januar 2023 einen Zinssatz von 7%.2 Die Wirtschaft zeigt daher bereits Anzeichen einer Verlangsamung. Dies spricht für eine Lockerung der Geldpolitik in naher Zukunft.

Die relative politische Stabilität im Land, seine im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) geringe Staatsverschuldung und seine Bemühungen um Verbesserungen im ESG-Bereich sind Faktoren, die zur Attraktivität Rumäniens beitragen, insbesondere zur Attraktivität seiner Staatsanleihen in Fremdwährung.

Ungarn: ein vielversprechender Emittent

Obwohl sich der Anstieg der Energiepreise weltweit verlangsamt, sind seine Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise erheblich. Ungarn war von diesem Phänomen besonders betroffen: Das Land verzeichnete bei den Lebensmitteln im März eine Rekord-Inflationsrate von 25,6% im Jahresvergleich. Sie war dreimal so hoch wie die in der gesamten Europäischen Union, deren Durchschnittswert bei 8,3% lag.3 Unterdessen dürfte der weltweite Abwärtstrend bei der Inflation im Lebensmittelbereich Einfluss auf die Entwicklung der Inflation in Ungarn nehmen. Dies bestätigen die rückläufigen Zahlen der letzten zwei Monate.

Im Rahmen seiner Bemühungen, den Anstieg der Inflation einzudämmen, hat Ungarn lange vor den meisten Industrieländern einen Zinsanhebungszyklus eingeleitet. Seit September 2022 liegt der Leitzins des Landes bei 13%.

Außerdem macht die relative Robustheit der makroökonomischen Fundamentaldaten Ungarn zu einem langfristig interessanten Emittenten. Die strenge Haushaltspolitik, die 2022 noch verschärft wurde, um den Anstieg des Defizits zu bekämpfen, trug dazu bei, die Verschuldung auf vergleichsweise niedrigem Niveau zu halten. So konnte das Risiko eines Zahlungsausfalls verringert werden.

Ungarn bemüht sich aktiv um Verbesserungen im Bereich seiner außerfinanziellen Aspekte. Das Land hat sich insbesondere verpflichtet, das europäische Ziel der CO2-Neutralität einzuhalten, und plant, sein letztes Kohlekraftwerk 2025 zu schließen. Zugleich investiert es in erneuerbare Energien.4

Vor diesem Hintergrund kann Ungarn ein entscheidender Emittent für die Portfoliodiversifizierung sein und potenziell attraktive Renditen ermöglichen:

  • Die Staatsanleihen in Lokalwährung bieten äußerst attraktive Realzinsen für Anleger, die auch taktisch von einer Neubewertung der Währung profitieren könnten.
  • Die Aussichten einer weltweiten Rezession kommen möglicherweise auch den ungarischen Staatsanleihen in Fremdwährung zugute, die ein langfristiges Performancepotenzial aufweisen.

Neben Osteuropa können einige afrikanische Länder attraktive Renditen im Anleihebereich bieten. Dazu gehören Benin oder auch Côte d’Ivoire. Diese rohstoffreichen Länder investieren in ihre Entwicklung, um so ihre makroökonomischen Fundamentaldaten zu verbessern.

In unseren Artikeln zu den Schwellenländern haben wir das Potenzial dieses Anlageuniversums erläutert, zu dem sowohl die Aktien- als auch die Anleihenmärkte in Asien, Lateinamerika und in der Region Europa, Naher Osten und Afrika gehören. Die Schwellenländer bieten viele Chancen. Flexibilität ist jedoch wichtig, um aufkommende Gelegenheiten ergreifen zu können. Dabei sind eine sehr gute Titelauswahl und ein aktives Risikomanagement erforderlich – und genau das zeichnet den Ansatz von Carmignac aus.


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Fußnoten

1 Internationaler Währungsfonds, 2021.
2 Banca Națională a României, www.bnr.ro/Monetary-Policy--3318-Mobile.aspx.
3 Eurostat, 19.04.2023.
4 „La Hongrie prévoit sa sortie du charbon d’ici à 2025„ [Ungarn plant seinen Kohleausstieg bis 2025], Euractiv: www.euractiv.fr/section/energie/news/hungary-brings-coal-exit-forward-by-five-years-to-2025