Christophe Nagy, Manager des Comgest Growth America, über seine Sicht auf die Finanz- und Wirtschaftskrise und warum er gelassen damit umgehen kann.
Die Aktienmärkte gingen nach den US-Zwischenwahlen schnell zum Tagesgeschäft über. Wie bewerten Sie das Ergebnis?
Christophe Nagy: Die Demokraten haben besser abgeschnitten als erwartet. Doch durch den Verlust der Mehrheit im Repräsentantenhaus wird Joe Biden nicht mehr in der Lage sein, größere Reformen zu verabschieden. Traditionell sind sogenannte Gridlocks, bei dem der Präsident und der Kongress auf verschiedenen Seiten stehen, eine gute Sache für den Aktienmarkt. Das deutet in der Regel auf ein stabiles Umfeld in Bezug auf Regulierungen, Gesetze, Ausgaben und Defizite hin. Doch der Markt konzentriert sich ohnehin derzeit vor allem auf die Geldpolitik. Das alte Sprichwort „Don’t fight the Fed“ ist aktueller denn je. Die Schlüsselfrage ist, ob der Leitzins bei 4,25 bzw. 4,5 Prozent stehen bleibt oder auf fünf Prozent steigt. Solange das nicht geklärt ist, kann der Markt immer wieder unter Druck geraten.
Wie lange könnte die Finanzkrise anhalten?
Nagy: Eine schwierige Frage. Wenn man sich den S&P-500 ansieht, sind wir mit Gewinnerwartungen von etwa 250 Dollar in das Jahr gestartet. Wenn man von einer normalen Rezession ausgeht und also von einem Gewinnrückgang um 20 Prozent, sind wir bei 200 Dollar. Und wenn wir darauf den Multiplikator auf die Gewinne der vergangenen zehn Jahre ansetzen, also das 19-Fache, dann wären wir bei 3800 Punkten im S&P-500. Jetzt kann man argumentieren, dass die vergangenen Jahre kein guter Maßstab sind. Nehmen wir also das 17-Fache als Multiplikator, dann lägen wir bei 3600, mit dem 15-Fachen bei 3000 Punkten. Der diesjährige Tiefstand lag bei rund 3500. Das könnte der Boden gewesen sein. Volatil wird der Markt dennoch bleiben.
Doch steht uns fundamental nicht das Schlimmste noch bevor?
Nagy: Richtig, wir stehen am Rand einer Rezession. Doch die gute Nachricht ist, wir haben keine großen Ungleichgewichte. Die Banken sind gut kapitalisiert. Es gibt keinen Grund für eine längere Rezession. Wir sollten das fundamental in zwölf bis 18 Monaten überwunden haben. Die Finanzmärkte schauen in der Regel sechs Monate auf diese Ereignisse voraus. Die Fed wird uns im Dezember oder Januar mitteilen, dass sie eine Zinserhöhungspause einlegt, um die verzögerten Auswirkungen zu beobachten. Gleichzeitig werden wir Gewinnrevisionen und einige schlechte Nachrichten über die Wirtschaft zu hören bekommen. Die Fed hätte damit also ihre Aufgabe, die Wirtschaft abzukühlen, erfüllt. Das wäre dann eine gute Gelegenheit, am Anleihenmarkt einzusteigen. Der Aktienmarkt sollte schnell folgen.
Passen Sie Ihre Anlagestrategie an das Umfeld an?
Nagy: Nein, unser Anlagehorizont liegt bei fünf bis zehn Jahren. Wir suchen nach Aktien von Unternehmen, die eine Rendite von zehn bis 15 Prozent auf das eingesetzte Kapital und ein Gewinnwachstum von mehr als zehn Prozent aufweisen. Die sind hochprofitabel. Das ändert sich nie. Wir haben manche Aktien seit 20 Jahren im Portfolio.
Sie investieren in Qualitätswachstum. Was bedeutet das für Sie?
Nagy: Das sind Unternehmen, die einen Burggraben um sich gezogen haben, also ein Geschäft mit sehr hohen Eintrittsbarrieren betreiben. Ihre Rendite auf das eingesetzte Kapital ist stabil bis leicht steigend und liegt über den Kapitalkosten. Die Qualität der Unternehmen entstammt im Wesentlichen aus deren geistigem Eigentum. Und meistens unterhalten diese langfristige Verträge mit ihren Kunden. Sehen Sie sich Microsoft an. Die haben 3-Jahres-Verträge mit ihren Kunden abgeschlossen. Das ist ein typisches Qualitätsfranchise-Unternehmen. Wir haben nachgekauft, als Investoren das vorhergehende Management kritisierten. Das neue Management hat das Cloud-Geschäft forciert und der Aktie einen neuen Schub verpasst.
Auf welche weiteren Aktien treffen Ihre Kriterien zu?
Nagy: Oracle ist ein Titel, dem wir sehr viel zutrauen. Ich will nicht unbedingt sagen, dass sie den gleichen Weg einschlagen wie Microsoft, aber die Chancen stehen gut. Die haben sich jetzt auf die Unternehmensressourcenplanung verlegt. Das ERP-System ist sehr erfolgreich. Die Aktie spiegelt das in ihrer Bewertung nicht wider. Apple hat derzeit mit Gegenwind zu kämpfen. Durch den starken Dollar sind die Produkte in Europa teuer. Doch der Rückenwind kommt von der Dienstleistungssparte, die rund 20 Prozent des Umsatzes ausmacht. Das ist alles rund um die Zusatzzahlungen bei der Nutzung. Ich vermute, dass Apple bald ein Dienstleistungsmodell anbietet für – sagen wir einmal – 50 Euro im Monat, bei dem das iPhone regelmäßig ausgetauscht wird. Johnson & Johnson, um noch eines zu nennen, hat ein fantastisches Portfolio im Bereich der Autoimmunkrankheiten. Und, wichtiger noch, wir sehen eine Verbesserung im Bereich der Medizintechnik, was zuletzt das Sorgenkind war. Das Unternehmen hat neue Produkte eingeführt und die Preise erhöht und wird bald die Verbrauchersparte ausgliedern.
Profitiert Ihr Portfolio auch vom Ausbau alternativer Energien in den USA?
Nagy: Nein, wir haben den Markt sehr genau unter die Lupe genommen und keine gute Investition gefunden. Windturbinen
werden entweder aus Europa oder von Konglomeraten wie GE geliefert. Da kauft man alles Mögliche mit. Und Anbieter wie
Enphase Energy, die Wechselrichter bei Solarpanels anbieten, sind teuer, zumal die chinesische Konkurrenz im Kommen ist.
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