Warum nimmt in den USA die Kritik an ESG-Investments zu? RI Specialist Lina Arrifi und François Antomarchi, Fundamental Equity Fund Manager bei DPAM, geben Antworten:
Informationsdefizit: In den USA weiß man wenig über ESG. Eine aktuelle Umfrage ergab: Nur 22 % der Amerikaner kennen sich mit ESG aus. Anti-ESG-Kampagnen fallen hier auf fruchtbaren Boden.
Wirtschaftliche Gründe: Laut ESG-Gegnern lenken nichtfinanzielle Faktoren Unternehmen von ihrem Hauptziel ab, den Shareholder Value zu maximieren. Dies betrifft v.a. Branchen wie die fossilen Brennstoffe, in denen ESG-getriebene Desinvestitionen zu geringeren Investitionen und höheren Kosten führen könnten.
Protektionismus: ESG-Initiativen könnten die Wettbewerbsfähigkeit Amerikas untergraben, befürchten Kritiker. Der Fokus auf erneuerbare Energien könnte die wirtschaftliche Position des Landes und seine führende Rolle in traditionellen Energiesektoren schwächen.
Politik und Ideologie: Für die Demokraten entscheidet langfristige Nachhaltigkeit über die wirtschaftliche Stabilität. Republikaner befürchten einen überregulierten „Woke-Kapitalismus“, der Unternehmen liberale Werte aufzwingt und freie Märkte untergräbt. Entsprechend breit sind die ideologischen Unterschiede in Bezug auf die Rolle der Regierung, Regulierung und Unternehmensverantwortung.
Aufschub, Verzögerung, Verschiebung: Politische Entscheidungsträger und Institutionen tendieren dazu, Klimaschutzmaßnahmen hinauszuzögern, oft mit dem Verweis auf künftige Technologien, die das Problem des Klimawandels lösen werden, oder auf notwendige weitere Studien. Dies verschärft den ESG-Widerstand.
Rückt die Performance aus dem Mittelpunkt, wenn nichtfinanzielle Elemente eine größere Rolle spielen?
Der Ertrag eines Investments kann nicht von seinem Risiko getrennt werden. Wichtige ESG-Faktoren – z.B. wie ein Unternehmen Rohstoffe beschafft oder die Beziehungen zu seinen Mitarbeitern gestaltet – spielen eine wichtige Rolle für sein Risikoprofil. Schlechte ESG-Praktiken können Ruf und Cashflow eines Unternehmens spürbar und dauerhaft beeinträchtigen. ESG-Kontroversen haben die Unternehmen im S&P-500-Index zwischen 2014 und 2019 über eine halbe Billion US-Dollar gekostet.
Wer ESG-Faktoren vernachlässigt, übersieht leicht kritische Risiken. Was für externe Effekte oder Rechtsstreitigkeiten ausgegeben werden muss, fehlt für Reinvestitionen und Investorenerträge. Ironischerweise sind oft genau die Unternehmen, die häufig auf ihre ökologischen und sozialen Auswirkungen hin geprüft werden, am besten für den Übergang zu einer nachhaltigeren Zukunft gerüstet. Branchen wie Öl und Gas, Pharma und nicht essenzielle Konsumgüter stehen häufig im Mittelpunkt von ESG-Debatten – sie sind in der Regel gut etabliert, kapitalkräftig und hochprofitabel. Ihre starken Cashflows ermöglichen nicht nur hohe Dividenden für die Aktionäre, sondern versetzen diese Unternehmen in die Lage, ESG-Transformationen voranzutreiben.
ESG trotz Kritik hoch im Kurs
Die ESG-Opposition ist in den US-Medien sehr präsent, das Engagement für verantwortungsvolle Investments ist aber weiterhin stark. Viele Organisationen halten sich an die Grundsätze für verantwortungsvolles Investieren, und weiterhin gibt es neue US-Unterzeichner dieser Grundsätze. Zudem veröffentlichten 2023 71 % der nordamerikanischen Unterzeichner Nachhaltigkeitsergebnisse, gegenüber 58 % im Jahr 2021. Trotz wechselnder Regierungen und ungewisser Regulierung profitieren nachhaltige Projekte oft von Anreizen wie grünen Anleihen, günstigen Finanzierungsbedingungen und staatlichen Subventionen.
USA spielen zentrale Rolle
Die wachsende Nachfrage von Verbrauchern und internationalen Investoren setzt Unternehmen zusätzlich unter Druck, ihre ESG-Leistung zu verbessern. Die USA werden mit ihrem riesigen Verbrauchermarkt und ihrer Innovationskraft eine entscheidende Rolle beim Übergang zu einer nachhaltigeren Welt spielen. Die Wechsel zwischen republikanischen und demokratischen Regierungen mögen diesen Wandel verlangsamen. Aufhalten werden sie ihn nicht.