Auch wenn kurzfristig das globale Wirtschaftsumfeld und die neue US-Regierung das Marktgeschehen dominieren dürften, könnte ein Regierungswechsel neue Impulse liefern.
- Mit der Entlassung seines Finanzministers läutet Kanzler Scholz das Ende der Ampelkoalition ein.
- Bevor es in den nächsten Wochen zur Vertrauensfrage und eventuell im März zu Neuwahlen kommt, könnten noch einige Gesetze in einer Minderheitsregierung verabschiedet werden.
- Eine Reform der Schuldenbremse und die Aussicht auf einen wirtschaftsfreundlichere Regierung könnte deutschen Aktien mittelfristig neue Impulse geben.
Die Ampel steht auf Rot
Am Mittwochabend, 6. November, hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz Finanzminister Christian Lindner entlassen und damit das Ende der Ampelkoalition1 eingeläutet. Hauptstreitpunkt zwischen Lindners FDP und den beiden anderen Parteien der Dreierkoalition war die Schuldenbremse. Während die FDP an einem strikten Sparkurs festhalten wollte, sahen die anderen Parteien bei einigen Themen höheren Finanzierungsbedarf. Insbesondere der Aufbau der Verteidigungsfähigkeit wird nach dem Wahlsieg Donald Trumps als dringlich empfunden. Den von Scholz geforderten Überschreitungsbeschluss der Schuldenbremse wollte Lindner nicht gewähren.
In den kommenden Wochen könnte Scholz die Vertrauensfrage stellen und so den Weg für Neuwahlen freimachen. Ein möglicher Wahltermin wäre im März 2025. Mit sofortiger Wirkung regiert Rot-Grün nun in einer Minderheitsregierung weiter, nachdem die FDP die Koalition formell aufgekündigt hat. Die Ernennung der Nachfolger soll noch am heutigen Donnerstag erfolgen. Der ehemalige Investmentbanker und seit 2018 als Staatssekretär in Berlin tätige Jörg Kukies soll neuer Finanzminister werden. Wir rechnen damit, dass die verkleinerte Koalition noch vor der letzten Bundesratssitzung am 20. Dezember versuchen könnte, folgende Gesetze durchzubringen: Ausgleich der kalten Progression; Rentenpaket II; Verschärfungen bei Migration / Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems; neue Sofortmaßnahmen für die Industrie und eine mögliche Reform oder Aussetzung der Schuldenbremse, um Ukraine, Wachstum und Verteidigung zu finanzieren. Bei Projekten in Verteidigung und Wirtschaftsbelebung kann die Minderheits-Koalition auf Schützenhilfe der Union rechnen. Bei anderen Projekten könnte sie versuchen, auf wechselnde Mehrheiten (z.B. mit Die Linke, Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) oder FDP-Überläufern) zu setzen. Ob aber beispielsweise die Festschreibung des Rentenniveaus noch durchkommt, ist zu bezweifeln.
Markt- und politische Auswirkungen
Auch wenn es für Prognosen noch sehr früh ist, scheint nach aktuellem Stand das wahrscheinlichste Szenario nach der Neuwahl eine „Große“ Koalition aus CDU/CSU und SPD, dann vermutlich unter der Führung der Union. Auch eine schwarz-grüne Koalition ist möglich, wenn sich die Grünen unter Robert Habeck inhaltlich neu aufstellen, wenngleich weniger wahrscheinlich. Dies könnte für die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands eine durchaus erfreuliche Entwicklung darstellen. Beide Parteien sind sich in der Ukraine-Unterstützung weitgehend einig. Als Regierungspartei gäbe es auch für die CDU/CSU wenig Gründe an der Schuldenbremse festzuhalten. Eine verlässliche Politik gegenüber der Ukraine, höhere Staatsausgaben, insbesondere für äußere Sicherheit, aber auch für Investitionen könnten der deutschen Wirtschaft wieder auf die Beine helfen. Dringend notwendige strukturelle Maßnahmen, wie eine grundlegende Reform des Rentensystems, die Anreizerhöhung zur Arbeitsaufnahme von Transferempfängern und eine generell etwas wirtschaftsfreundlichere Politik – vor allem für die deutsche Industrie – wären in so einer Konstellation durchaus vorstellbar, auch wenn es noch viele Hürden auf dem Weg dorthin zu nehmen gilt.
Auswirkungen auf die Anlageklassen
Insgesamt rechnen wir mit überschaubaren Reaktionen an den Märkten, auch wenn es mittelfristig Aktien etwas Rückenwind und Anleihen leichten Gegenwind gewähren könnte.
Anleihen und Währungen:
Die Renditen deutscher Bundesanleihen haben sich unter dem Eindruck rückläufiger Inflationszahlen und schwächerer Wirtschaftszahlen seit Anfang Sommer abwärts bewegt, konnten sich jedoch seit Anfang Oktober dem von US-Staatsanleihen ausgehenden Renditeschub nicht entziehen. Auch die US-Wahl konnte daran wenig ändern, auch wenn die von der neuen US-Regierung geplanten Zölle auf dem deutschen Wirtschaftswachstum lasten könnten. Die Haupttreiber für deutsche Anleiherenditen dürften weiterhin der Wirtschaftsausblick, die Inflationsentwicklung und am kurzen Ende das Zinssenkungstempo der Europäische Zentralbank (EZB) bleiben. Dass die Aussicht auf einen Regierungswechsel zu einem Renditeanstieg führen könnte, da mit Mehrausgaben gerechnet werden könnte, halten wir eher für unwahrscheinlich. Auf 12-Monatssicht rechnen wir weiter mit einem Renditerückgang deutscher Staatsanleihen und einer leichten Versteilerung der Zinskurve.
Aktien:
Auch der deutsche Aktienmarkt wird vorerst stärker von der US- als der deutschen Politik geprägt. Die drohenden Zölle sowie das globale Wachstumsbild, insbesondere in der verarbeitenden Industrie, prägen den Dax. Doch sollte nach der Neuwahl eine wirtschaftsfreundlichere Politik eingeschlagen werden, halten wir eine Bewertungsausweitung in Deutschland über die nächsten zwölf Monate für wahrscheinlich, auch wenn die Gewinnschätzungen erst mit deutlicher Verzögerung angehoben werden würden. Dabei schließen wir jedoch nicht aus, dass Teile der Anleger schon aufgrund der Aussicht auf eine neue Regierungskoalition dem deutschen Markt gegenüber wieder freundlicher gesinnt sein könnten, auch wenn die Auswirkungen eines Regierungswechsels sich frühestens Ende 2025 zeigen dürften. Angesichts der globalen Ausrichtung des Dax dürften jedoch eher Nebenwerte
davon profitieren.