Seit gut einem Jahr halten die Notenbanken an ihrer immer restriktiveren Geldpolitik fest. Nun gab die US-Notenbank eine Entschleunigung der Zinsanhebungen bekannt, was Spekulationen über die entsprechende Zielrate und den Beginn einer Zinssenkung sowie Kursbewegungen auslöste. Wer jedoch genau hinschaut, entdeckt eine Diskrepanz zwischen den Äußerungen verschiedener Zentralbankoffizieller und der Preisfindung entsprechender Terminkontrakte. Das voreilige Einpreisen von Zinssenkungen, Euphorie und Aussichten am Markt sind allerdings mit Vorsicht zu genießen.
Fast ein Jahr ist es nun her, dass die Aktienindizes der führenden Märkte ihre Allzeithöchststände verbucht haben. Seitdem haben die Börsen eine ziemliche Achterbahnfahrt erlebt, die sich aktuell immer noch in tiefroten Performancekennziffern manifestiert. Neben einer deutlichen konjunkturellen Abkühlung, für die es offensichtlich eine Vielzahl von Gründen gibt, wird insbesondere die seit einem Jahr immer restriktiver werdende Geldpolitik als Ursache benannt. Jahre der Null- und sogar Negativzinspolitik haben eine auf einem marktüblichen (positiven) Diskontierungszins basierende Bewertungslogik ad absurdum geführt. Die erlebten Kursrückgänge können deshalb ohne Weiteres als zinsinduzierte Korrektur der vorangegangenen Preisexzesse interpretiert werden. Da es für eine derartige Abfolge von Zinserhöhungen bislang keinen historischen Vergleich gibt, sorgten diese bei der Bewertungsanpassung für eine gewisse Volatilität an den Kapitalmärkten. Im laufenden Jahr stand die Spekulation über den Straffungspfad im Zentrum der Diskussion. Mit der geplanten Entschleunigung der Zinsanhebungen der US-Notenbank wird dieser Unsicherheitsfaktor teilweise ausgeräumt.
Was dafür jetzt in den Fokus rückt, ist die Frage der Zielrate und die Vorgehensweise nach ihrem Erreichen. Seit Wochen sorgt das Narrativ des Pivots, genauer gesagt das Raten über den Beginn der Zinssenkungen, für Schlagzeilen und damit verbundene Kursbewegungen. Was diesbezüglich gerade beobachtet werden kann, ist jedoch eine Diskrepanz zwischen den Äußerungen verschiedener Zentralbankoffizieller und der Preisfindung entsprechender Terminkontrakte. Während erstere ihren Job der Inflationsbekämpfung erledigt sehen wollen und dabei keineswegs den Fehler der 70er Jahre (zu schnelle Zinssenkungen) wiederholen möchten, preist der Terminmarkt bereits exakt diese Zinssenkungen schon Ende nächsten Jahres ein. Der Markt feiert diese Aussicht nun mit entsprechenden Rallys der Risikoassets. Wir hinterfragen diese Entwicklung wie folgt: Wenn es ausgehend von einem derart hohen Inflationsniveau illusorisch ist, in kürzester Zeit auf das anvisierte Notenbankziel von 2 % zurückzufallen ‒ was könnte der Grund für die eingepreisten Zinssenkungen sein? Eine wirtschaftliche Entwicklung, die weitaus negativer ist als bislang erwartet, wäre trotz einer voraussichtlichen Inflation um die 4 % zumindest ein valider Grund für erneute Zinssenkungen bereits in 2023. Dies jedoch steht im direkten Widerspruch zu einem haussierenden Aktienmarkt, da im Falle einer Rezession noch deutlich mehr Bewertungsanpassungen notwendig würden. Im Englischen gibt es diesbezüglich eine schöne Redewendung: Be careful what you wish for.
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