Der Weckruf kam aus China und er dürfte noch nachhallen. Als die weltweite Öffentlichkeit im Januar gewahr wurde, dass mit dem chinesischen Startup-Unternehmen DeepSeek möglicherweise ein echter Konkurrent für die mit künstlicher Intelligenz gepaarten Sprachmodelle der US-Techunternehmen auf den Plan treten könnte, rauschte es an der Börse gewaltig. Insbesondere bei von den Investitionen in KI abhängigen Chip-Konzernen ging es binnen Stunden um teils zweistellige Prozentsätze bergab.
1. Eine Aktie vermiest die Index-Performance
Der Einbruch der dazugehörigen Nvidia-Aktie um 17 Prozent am 27. Januar war allein dafür verantwortlich, dass sich rund 1,2 Prozent der Kapitalisierung des insgesamt gut 500 Aktien umfassenden S&P-500-Index verflüchtigten. Der S&P 500 ist ein nach dem Marktwert der frei umlaufenden Aktien (free float) seiner Mitglieder gewichteter Index und das weltweit am meisten beobachtete und beachteste Börsenbarometer. Der S&P 500 verlor binnen der Handelssitzung am 27. Januar 1,5 Prozent – vier Fünftel des Rückgangs entfielen rechnerisch auf Nvidia.1
Das gleiche Schicksal wie den S&P 500 ereilten die zahlreichen börsengehandelten Fonds (Exchange Traded Funds, ETFs), die den Index abbilden.2 Aufgrund der starken Konzentration von wenigen, hoch kapitalisierten US-Aktien in den wichtigsten Indizes gab es auch für solche vermeintlich breit gestreuten Investments Rückschläge.
Noch deutlicher machten sich die Bewegungen in ETFs, die fest definierte Themen abbilden, bemerkbar. Der „Strive U.S. Semiconductor ETF“ etwa verlor im Tagesverlauf bis zu 11,4 Prozent an Wert. Das Gewicht von Nvidia betrug hier mehr als ein Fünftel.
Im Gegensatz dazu waren die Auswirkungen von Nvidia im gleichgewichteten S&P 500, der nicht wie der übliche S&P-500-Index nach dem Kapitalwert seiner Mitglieder gewichtet ist, zu vernachlässigen. Da die Aktie hier wie alle anderen Mitglieder 0,2 Prozent schwer ist, schlug der Nvidia-Einbruch von 17 Prozent im Index mit einem Minus von nur 0,034 Prozent zu Buche. Der gleichgewichtete Index legte an dem Tag sogar homöopathisch zu. Insgesamt lagen 350 Aktien des S&P 500 am Ende der Handelssitzung im positiven Bereich – davon hatten aber Anleger in den kapitalgewichteten ETFs, die den Tag im Minus beendeten, wenig.
2. Hohe Konzentration weniger Aktien als Risiko?
Diese Beobachtung ist ein Hinweis darauf, dass die hohe Konzentration weniger Aktien in bedeutsamen Indizes wie dem S&P 500, dem Nasdaq 100 oder dem MSCI World, die sich (nahezu) 1:1 in entsprechend darauf konzipierten Produkten niederschlägt, ein Risiko sein könnte. Denn auch ETF-Verkäufe dürften zu den Kursverlusten bei Nvidia & Co. beigetragen haben.
Aktien-ETFs spielen inzwischen einen wichtigen Part an den Börsen. Doch wie wichtig sind sie für die Schwergewichte? Und könnte eine Umkehr des Trends an stetigen Zuflüssen in ETFs oder ein schlagartiger Abverkauf eine überproportionale Rückschlaggefahr für die Schwergewichte aus dem Technologiebereich und damit für die Märkte allgemein bedeuten?
Um sich der Antwort auf diese Frage zu nähern, eignet sich der Nasdaq 100 als Fallbeispiel. Denn im insgesamt 101 Aktien umfassenden Index der technologiebetriebenen US-Börse ist die Konzentration der sieben schwersten Aktien, im folgenden Top7 genannt, am höchsten.3 Zum Erhebungszeitpunkt lag ihr Index-Gewicht im Nasdaq 100 bei gut 45 Prozent. Im S&P 500 machten sie circa 32 Prozent aus, und im MSCI World rund 24 Prozent. Ein Vergleich der Konzentration der Top7 und der anderen Nasdaq-100-Werte und ihrer Rolle in ETFs sollte Rückschlüsse auf die Frage zulassen, ob Risiken bestehen. Der Fokus liegt bei US-gehandelten ETFs, die das Gros des gesamten Marktes ausmachen.
3. ETFs mit Rekordzuflüssen und Rekord-Vermögen
Je nach Quelle variieren die Angaben zur Höhe des weltweit verwalteten Vermögens von ETFs. Auf 14,85 Billionen Dollar kommt der Datenanbieter ETFGI zum Jahresende 2024. Die Nettozuflüsse hätten im vergangenen Jahr 1,88 Billionen Dollar betragen – ein Rekord. Die Fondsanalysten von Morningstar ermitteln 13,8 Billionen Dollar an ETF-Vermögen.
Auf Aktien-(Equity)-ETFs entfielen laut Lipperalpha per 30. September 2024 rund 10,7 Billionen Dollar. Laut Bloomberg kamen da bis zum Jahresende 455 Milliarden Dollar hinzu, und per Ende Januar 2025 weitere 95 Milliarden. Für 7.174 bei Bloomberg erfasste Equity-ETFs lag deren Vermögen bei zuletzt 11,3 Billionen Dollar, der ETF-Datenspezialist Trackinsight ermittelte per Ende Januar 11,4 Billionen Dollar. Das Volumen schwankt mit jedem Auf und Ab an der Börse und hängt zudem davon ab, ob Investoren frisches Kapital dort investieren oder im Gegenteil ETF-Anlagen versilbern.
ETF-Anleger sind unsteter als vielfach vermutet: Das ist abzulesen an der kurzen Verweildauer ihrer Investments in den jeweiligen Portfolios. Ein Fünftel jeder ETF-Investition haben Privatinvestoren durchschnittlich bereits nach einer Woche verkauft, ein Drittel nach einem Quartal. Andere Investoren sind nach drei Monaten sogar schon zu gut drei Vierteln aus ihren Engagements ausgestiegen. Das zeigt eine im Oktober 2024 veröffentliche Studie zum Anlegerverhalten in den USA.
Unabhängig von der hohen Umschlaggeschwindigkeit gab es in den vergangenen Jahren regelmäßige Zuflüsse in Aktien-ETFs, nur in wenigen Monaten zogen Anleger per Saldo Kapital ab. Dies hat den generellen Aufwärtstrend an den Börsen unterstützt.
Obwohl börsengehandelte Produkte (Exchange Traded Products, ETPs) wie vor allem ETFs ein rasantes Wachstum hingelegt haben, spielen sie keine alles überragende Rolle. Ihr Einfluss auf die Märkte legt aber kontinuierlich zu Der Anteil an der Weltaktienmarktkapitalisierung ist von 3,5 Prozent 2015 auf 9,5 Prozent im Januar 2025 gestiegen.
Alle Passiv-Anlagen in Aktien hatten Ende 2023 aktiv gemanagte Aktien-Investments erstmals überrundet. In den USA machten ETFs insgesamt zum Jahresende 2024 ein Drittel des gesamten Vermögens der Fondsindustrie aus.
4. Bedeutung der ETFs für die Schwergewichte
Apple, das zum Erhebungszeitpunkt börsenwertvollste Unternehmen, wird laut Angaben von etf.com von gleich 487 US-gehandelten ETFs gehalten – und damit von knapp sieben Prozent aller globalen bei Bloomberg erfassten Aktien-ETFs. Darunter sind in erster Linie klassische ETFs, die die großen Indizes 1:1 abbilden. Dazu kommen unter anderem Themen-ETFs oder auch gehebelte EFTs, die die Wertentwicklung der unterlegten Aktien beispielsweise verdoppeln können oder bei gegenteiligen Kursbewegungen entsprechend stärker reduzieren. Von den anderen Top7 sind Nvidia in 530, Microsoft in 538, Amazon in 456, Alphabet in 444, Meta in 461 und Broadcom in 428 US-gehandelten ETFs vertreten.
Wesentliche Anteile dieser Top7-Schwergewichte liegen in den fünf größten ETFs. Davon vollziehen drei den S&P 500 nach, einer den gesamten US-Aktienmarkt und ein weiterer den Nasdaq-100-Index. Mitte Februar 2025 waren die fünf größten ETFs knapp 2,7 Billionen Dollar schwer – und repräsentierten damit ein knappes Fünftel aller Aktien-ETFs. Ein gutes Drittel des Vermögens der fünf ETFs Dollar entfiel davon auf die Top7: exakt 967 Milliarden Dollar. Dies wiederum entspricht fünf Prozent der Marktkapitalisierung des free float der Top7.
Die fünf größten ETFs halten mehr Anteile an den Top7 als alle anderen ETFs zusammen. Bei den fünf größten Indexfonds liegen zwischen 45,2 und 66,2 (durchschnittlich 56,4) Prozent der Anteile der Top7-Aktien, die sich überhaupt in ETFs befinden.
Tabelle: Positionen der fünf größten ETFs an allen in ETFs gehaltenen Aktien der Top7
Aktie | Anteil der jeweiligen Aktienposition der größten 5 ETFs an allen ETFs |
Apple Inc | 56,8% |
Microsoft Corp | 54,6% |
NVIDIA Corp | 53,3% |
Amazon.com Inc | 59,8% |
Alphabet (Class A und C) | 59,0% |
Broadcom Inc | 45,2% |
Meta Platforms Inc | 66,2% |
jeweils US-traded ETFs, per 20. Februar 2025, Quelle: Bloomberg, Flossbach von Storch Research Insititute, Stand: Februar 2025
5. Wie würde sich ein Abverkauf von ETFs auswirken?
Um zu ermitteln, inwieweit diese Schwergewichte bei möglicherweise stärkeren Abverkäufen von ETFs überproportional betroffen sein könnten, sollte ein Vergleich zu den anderen Nasdaq-100-Werten hilfreich sein. Der Nasdaq 100 ist unter den breiten Aktienindizes der Index mit der höchsten Konzentration der Schwergewichte: Zusammen machten sie zum Erhebungszeitpunkt gut 45 Prozent aus.
Die These: Wenn Anteile der Schwergewichte in ETFs eine überragende Rolle spielen sollten, dann könnten ETF-Verkäufe zu überproportionalen Abschlägen bei den Top7-Aktien führen und damit kapitalgewichtete Indizes wie etwa den S&P 500 oder den Nasdaq 100 nach unten ziehen.4
Als erstes Ergebnis lässt sich festhalten, dass von den Top7 mehr Anteile in ETFs enthalten sind, als es ihrem Gewicht im Nasdaq 100 entspricht. ETFs halten durchschnittlich 11,3 Prozent des free float der Top7, im Nasdaq 100 liegt ihr Durchschnittsgewicht bei nur 6,5 Prozent.
Das deutet isoliert betrachtet auf eine Gefahr bei ETF-Verkäufen hin. Wenn sich eine Verkaufswelle bei Aktien-ETFs einstellte, dann könnten nach dieser Erkenntnis die Top7 überproportional betroffen sein. Von ihnen würden möglicherweise mehr Aktien auf dem Markt geworfen als von anderen Papieren. Das wiederum dürfte ihre Kurse überproportional drücken, was aufgrund ihrer starken Konzentration negativ auf die breiten, kapitalgewichteten Indizes wirken würde.
Um sich dem noch genauer zu nähern, ist ein Vergleich zu den anderen Nasdaq-100-Werten notwendig. Diese sind mit durchschnittlich 0,6 Prozent im Index gewichtet. In ETFs jedoch finden sich nicht nur deutlich mehr Anteile ihrer umlaufenden Aktien als es ihrem Indexgewicht entspricht, sondern auch mehr Anteile als bei den Top7: Im Durchschnitt sind 14,5 Prozent ihrer frei umlaufenden Aktien Bestandteil eines ETFs – also rund jede siebte Aktie.
Von den Top7 sind also mehr Aktien des free float in ETFs (11,3 Prozent), als es ihren Gewichten im Nasdaq 100 entspricht (6,5 Prozent). Bei den anderen Nasdaq-100-Werten ist die Diskrepanz aber wesentlich größer: 14,5 Prozent zu 0,6 Prozent.
Die These, dass die Top7 von ETF-Abverkäufen überproportional getroffen wären, lässt sich also daran gemessen nicht halten. Das gilt im Gegensatz zur Erwartung eher für die anderen Nasdaq-100-Werte, da für diese ETFs eine wichtigere Rolle spielen und sie damit von Abverkäufen härter getroffen wären.
6. Wie leicht fällt der Verkauf?
Um sich ein letztendliches Urteil bilden zu können, muss allerdings noch eine wesentliche Komponente mit einbezogen werden: das, was Börsianer Liquidität nennen. Wie leicht fällt es also, überhaupt etwas zu verkaufen?
So ist es beispielsweise wesentlich einfacher, eine Gold-Münze mit dem Gewicht von einer Unze (31,1 Gramm) zu verkaufen als einen 12,5-Kilo-Barren. Deshalb kostet ein Gramm des Barren-Goldes weniger als ein Gramm einer Feinunze. Der Barren-Preis hat einen Liquiditätsabschlag.
Bezogen auf die Wechselwirkung zwischen den Aktien-ETFs und dem Aktienmarkt bedeutet dies: Wie aufnahmefähig ist der Markt für eine einzelne Aktie oder einen Aktienkorb? Denn bei einer Verkaufswelle an ETFs müssen die ETF-Anbieter die darin enthaltenen Aktien ebenfalls verkaufen. Wie schwierig das wäre, dafür lassen sich Schlüsse aus dem Handelsvolumen ziehen.
Von Apple beispielsweise waren zuletzt insgesamt gut 14,7 Milliarden Aktien im Umlauf (free float). Das durchschnittliche Handelsvolumen lag in den vergangenen zwölf Monaten (per 31. Januar) bei täglich knapp 56 Millionen Aktien. Es dauert also 263 Handelstage, bis alle Apple-Aktien rechnerisch einmal komplett umgeschlagen sind.
Das durchschnittliche tägliche Handelsvolumen im Verhältnis zur Anzahl der von den ETFs gehaltenen Aktien gesetzt kann als Anhaltspunkt dafür gesehen werden, wie lange es dauert, bis ein kompletter Aktien-Bestand aus den ETFs verkauft wäre.
So werden von Apple 1,4 Milliarden Aktien in (US-traded) ETFs gehalten. Bei einem täglichen Handelsvolumen von 56 Millionen Apple-Aktien dauert es also 25 Tage, bis alle ETF-Bestände an Apple-Aktien verkauft wären.
Das Ergebnis für alle Aktien insgesamt: Wenn in einer theoretischen Annahme für alle ETFs, in denen Nasdaq-100-Werte stecken, auf einen Schlag Aufträge zum Verkauf erteilt würden, dann wären im Durchschnitt nach 16 Handelstagen alle Top7-Papiere verkauft. Bei den anderen 87 Aktien dauerte es 13 Tage.5
ETF-Verkäufe würden also überraschenderweise die Top7-Aktien schwerer treffen als die anderen Nasdaq-100-Werte, da ihre Liquidität dafür geringer ist. Voraussetzung ist, dass die sich die in der Vergangenheit gezeigten Handelsvolumina nicht verändern. Die Vergangenheitsbetrachtung gibt keine vollständige Gewissheit, sie ist aber zumindest ein guter Indikator.
Unter dem Brennglas zeigen sich Unterschiede zwischen den Top7 und den anderen Nasdaq-100-Aktien. So läge bei gut 26 Prozent der nicht-Top7-Aktien die durchschnittliche Abverkaufsdauer aus ETFs bei mehr als 25 Tagen. Bei den Top7 trifft das auf eine Aktie zu.
Bei 21 der 87 nicht-Top7-Aktien zeigt sich ein – gemessen an ihrer Gewichtung im Nasdaq 100 – sehr hoher Anteil ihrer umlaufenden Aktien in ETFs bei gleichzeitig langer Abverkaufsdauer (jeweils größer 25 Tage). Das könnte ein erhöhtes Risiko für die Preisbildung bei einer Verkaufswelle sein. Bei den Top7 tritt diese Kombination nicht auf.
Fazit
US-gehandelte ETFs halten an den Top7-Aktien deutlich mehr Anteile als deren Index-Gewichtung im Nasdaq 100. Wesentliche Anteile davon liegen in den fünf größten ETFs. Bei den anderen Nasdaq-Werten spielen ETFs im Vergleich zu deren Gewichtung im Nasdaq 100 sogar eine überragende Rolle.
Bei einem massiven Abverkauf von ETFs wären die Top7 gemessen am Handelsvolumen der vergangenen zwölf Monate im Durchschnitt aber mehr getroffen als die anderen Werte, da ihre Liquidität geringer ist.
Allerdings sind rund ein Viertel der nicht-Top7-Aktien gemessen an Indexgewicht, Anteil ihrer Aktien in ETFs und ihrem Handelsvolumen, deutlich weniger liquide als der Durchschnitt und als die Top7. Das könnte sie bei einem Abverkauf von ETFs stärker drücken als den Markt.
Da Liquidität an den Märkten erfahrungsgemäß immer dann nicht da ist, wenn man sie braucht, könnte die Bedeutung von ETFs für jeweils eine einzelne Aktie betrachtet Erkenntnisse für deren Gewichtung in einem aktiv gemanagten Portfolio nach sich ziehen, um im Zweifel nicht in einer Liquiditätsfalle zu stecken. Mit zunehmendem Wachstum der ETF-Industrie gewinnt eine solche Beobachtung an Bedeutung.
Ein stark überdurchschnittliches Risiko für die Top7-Aktien und damit für die Märkte generell lässt sich aus dem Blickwinkel der ETFs betrachtet nicht ausmachen.