Die US-Staatsschulden haben zuletzt (wieder) eine historische Schwelle überschritten. Wann wird es gefährlich?
35 Billionen US-Dollar - ein gigantischer Betrag, der in den USA zuletzt wenig erfreuliche Schlagzeilen nach sich zog. Denn es waren die US-Staatsschulden auf Bundesebene, die Ende Juli ebendiese fragwürdige Schallmauer durchbrachen.
Wie erschreckend hoch dieser Schuldenberg ist, zeigt auch ein Vergleich mit der Wirtschaftsleistung der nach den USA fünf größten Volkswirtschaften. Die 35 Billionen US-Dollar entsprechen nämlich etwa dem Bruttoinlandsprodukt, das China, Deutschland, Indien, Japan und das Vereinigte Königreich in Summe im Jahr 2024 voraussichtlich erwirtschaften werden.
Entsprechend alarmiert zeigte sich Jodey Arrington, der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im US-Repräsentantenhaus. Er kommentierte diesen unrühmlichen Meilenstein bei den US-Staatsschulden in Anlehnung an ein Zitat des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan: „Wir haben keine (35) Billionen Dollar Schulden, weil wir nicht genug Steuern erhoben haben; wir haben (35) Billionen Dollar Schulden, weil wir zu viel ausgeben.“
Zugegebenermaßen wohnt einer derartigen Aussage im Superwahljahr 2024 oftmals parteipolitisches Kalkül inne – egal ob sie ein Demokrat oder wie in diesem Fall ein Republikaner trifft. Dennoch hat dieses Zitat aus dem Jahr 1982 vom Republikaner Reagan nicht an Gültigkeit verloren. Wann wird es also die Quittung für eine derart hohe Verschuldung geben?
Zinslast so hoch wie die US-Verteidigungsausgaben
In den Fiskaljahren 1962 bis 2023 musste die US-Regierung bereits ordentlich für ihre Altschulden bezahlen. In diesem Zeitraum fielen Nettozinszahlungen im Umfang von 9.972 Milliarden US-Dollar an.
Und ein Blick auf die aktuelle Haushaltslage ist noch ernüchternder. Denn peu à peu ist in den vergangenen Jahren das gestiegene Zinsniveau zu einer immer größeren Belastung geworden. Musste die US-Regierung im Jahr 2021 rund 367 Milliarden US-Dollar an Nettozinszahlungen leisten, hat sich die Zinsbelastung seither mehr als verdoppelt.
Im US-Fiskaljahr 2024, das am 30. September 2024 endet, wird die US-Regierung mehr als 800 Milliarden US-Dollar an Nettozinszahlungen geleistet haben. Zum Vergleich: Die Gesamtausgaben des US-Verteidigungsministeriums dürften sich im laufenden Fiskaljahr auf schätzungsweise 818 Milliarden US-Dollar belaufen.
Auch im Verhältnis zu den Staatseinnahmen zeigt sich der Anstieg der Zinsbelastung deutlich. So entsprachen die Nettozinskosten in den zwölf Monaten bis Juli 2024 rund 18 Prozent der Staatseinnahmen. In der zurückliegenden Dekade waren es etwa neun Prozent.
Bei sonst gleichen Ausgaben braucht es also mehr Schulden, um das chronische Staatsdefizit in den USA zu finanzieren. Sparen wäre also angesagt. Doch noch zeigen sich die US-Regierung und die Finanzmärkte davon unbeeindruckt. Das Primärdefizit (Haushaltsdefizit vor Zinsausgaben) dürfte in diesem Jahr bei rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen und ist damit – trotz gestiegener Zinskosten – ähnlich hoch wie in den Vorpandemiejahren. Hohe Defizite sind so lange kein Problem, wie die Nachfrage nach US-Staatsanleihen ungebrochen hoch ist.
Angesichts einer Staatsschuldenquote, die schon heute bei mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, ist die Entwicklung dennoch bedenklich. Es stellt sich die Frage, wie weit die Schulden überhaupt noch steigen können. Ist der Handlungsspielraum kommender Regierungen begrenzt?
US-Schuldenlimit ohne Wert
Zwar haben die USA eine gesetzliche Schuldenobergrenze. Doch das US-Schuldenlimit dürfte kein geeignetes Instrument sein, um eine (theoretische) Schuldenobergrenze zu definieren. Historisch konnte sie jedenfalls keine Bindungswirkung entfalten. Allein seit 1960 hat der US-Kongress diese 78-mal modifiziert. In vielen Fällen wurde das Schuldenlimit dauerhaft angehoben; derzeit ist es bis zum 1. Januar 2025 ausgesetzt. Bei Bedarf haben die US-Politiker die Schuldengrenze also stets angepasst und dürften dies wohl auch zukünftig so handhaben, da bei einem Zahlungsausfall der US-Regierung unabsehbare Konsequenzen drohen.
Vielmehr spielen eine Reihe anderer Faktoren eine wesentliche Rolle, die die Schuldentragfähigkeit der US-Regierung und damit auch deren finanzielle Handlungsfähigkeit definieren.
US-Staatsanleihen (auch international) gefragt
Ein wesentlicher Aspekt ist in diesem Zusammenhang der Status der US-Staatsanleihen als sicherer Hafen und die Leitwährungsfunktion des US-Dollars. Die Auslandsnachfrage nach US-Staatspapieren ist nach wie vor enorm. Daran ändert die Tatsache, dass China seine US-Staatsanleihebestände in den vergangenen zehn Jahren um rund 500 Milliarden US-Dollar reduziert hat, zunächst einmal auch wenig.
Zuletzt hielten Auslandsinvestoren US-Staatsanleihen im Gegenwert von rund acht Billionen US-Dollar. Noch relevanter ist, dass die US-Regierung auch auf inländischer Seite auf ein gigantisches Nachfragepotenzial blicken kann. Sinnbildlich dafür steht das Nettofinanzvermögen der US-Haushalte, das per 2023 bei etwa 98 Billionen US-Dollar oder gut 350 Prozent des BIP lag.
Damit bewegen sich nicht nur die US-Staatsschulden auf Rekordniveaus. Auch das Geldvermögen der US-Haushalte ist in den vergangenen Jahrzehnten massiv angestiegen und sucht nach Anlagemöglichkeiten.
Zudem dürften weder die Mehrheit der potenziellen Inlandsinvestoren noch zahlreiche Auslandsinvestoren ein Interesse daran haben, die Zahlungswürdigkeit einer US-Regierung infrage zu stellen. Die damit verbunden Risiken wären nicht nur für den Geldbeutel enorm. Der Sicherheitsarchitektur Europas könnten ohne den militärischen Geleitschutz der USA weitere Risse drohen. In den USA könnte ein Großteil der 66 Millionen Menschen, die eine Alters-, Hinterbliebenen- oder Arbeitsunfähigkeitsrente beziehen, plötzlich ohne Einkünfte dastehen.
Stabilität aus der Instabilität
Insofern genießt die Zahlungsfähigkeit der US-Regierung oberste Priorität für den Zusammenhalt ganzer Gesellschaften.
Daraus leiten sich zwei Implikationen ab:
- Zum einen erfährt eine inhärente Instabilität einer zu hohen Staatsverschuldung durch die tiefe Verwurzelung der zahlreichen (Finanzmarkt-)Akteure mit dem Staat eine gewisse Stabilisierung. Weil sich einfach niemand eine US-Staatspleite leisten möchte. Es entsteht ein „Gleichgewicht“, das aber zugegebenermaßen instabiler Natur ist und von der Kredibilität und Handlungsfähigkeit der US-Regierung abhängt.
- Zudem tragen diese wechselseitigen Abhängigkeiten dazu bei, dass es ungemein schwierig ist, einen möglichen Kipppunkt einer „zu hohen“ Staatsverschuldung zu definieren. Wie auch das Beispiel Japan, dessen Staatsverschuldung bei mehr als 250 Prozent des BIP liegt, zeigt, können Staatsschulden(quoten) unter Umständen deutlich weiter steigen, als man dies gemeinhin erwartet hätte.
Geleitschutz der Notenbanken
Für zusätzlichen Rückenwind können in diesem Zusammenhang die Notenbanken sorgen. Wie die Entwicklungen seit der Finanzkrise gezeigt haben, konnte der geldpolitische Geleitschutz für die Fiskalpolitik seither gewissermaßen institutionalisiert werden. So gab es im Frühjahr 2020 nur wenige Stimmen, die das Vorgehen der US-Notenbank in Frage stellten.
Seinerzeit verkündete Notenbankpräsident Jerome Powell, bei Bedarf unbegrenzte US-Staatsanleihekäufe tätigen zu wollen. Auch die Europäische Zentralbank und andere Notenbanken blähten ihre Wertpapierbestände damals im Gleichlauf mit der US-Notenbank auf. Sind die Notenbanken also das letzte Puzzlestück zum „perpetuum mobile“ der Staatsfinanzierung?
In wohldosierten Dosen können Notenbanken zweifelsfrei zur (temporären) Stabilisierung der Staatsfinanzen beitragen, wie die vergangenen Krisen gezeigt haben. Die große Frage bleibt allerdings, wie sehr derartige Maßnahmen die Haushaltsdisziplin verwässern. Eine erhöhte Schuldentragfähigkeit infolge geldpolitischer induzierter Tiefzinsen und/oder breit angelegter Staatsanleihekäufe setzt zweifelsohne Fehlanreize.
So dürften in der Pandemie die Stützungsmaßnahmen der US-Notenbank dazu beigetragen haben, dass die US-Regierung immer größere Rettungspakete beschlossen hat. Auf diese Weise flossen den US-Haushalten billionenschwere Hilfen in Form von Arbeitslosengeldern und Schecks zu. Mit der Konsequenz, dass gut gefüllte Geldbeutel auf ein verknapptes Dienstleistungs- und Warenangebot trafen. Eine Entwicklung, die die folgenden, historisch hohen Inflationsraten von zeitweise 9 Prozent miterklären.
Laxe Geldpolitik bleibt gefährlich
Eine expansive Geldpolitik ist daher ein zweischneidiges Schwert. Sie kann dazu beitragen, die heutige Schuldentragfähigkeit eines Staates zu garantieren. Andererseits kann dies eine (dauerhaft angelegte) expansive Fiskalpolitik begünstigen und so zu einem (inflationsbedingten) Vertrauensverlust ins Geldsystem beitragen. Das letzte Puzzlestück zum „perpetuum mobile“ der Staatsfinanzierung kann die Geldpolitik daher nicht sein.
Umgekehrt wäre es aus unserer Sicht aber auch eine mutige These, zu unterstellen, dass die US-Regierung bereits heute in der Klemme sitzt – wegen der hohen Verschuldung. Eine mögliche US-Staatspleite bleibt somit bis auf Weiteres ein theoretisches Gedankenspiel.
Die Wahrheit zur Schuldentragfähigkeit der USA liegt vermutlich irgendwo in der Mitte: Unbestritten dürften immer höhere Schulden den fiskalischen Handlungsspielraum – vor allem perspektivisch – weiter einschränken. Aber angesichts der Komplexität des Themas vorhersagen zu wollen, ob und wann exakt dies in welchem Umfang der Fall sein könnte, bleibt ein wohl kaum lösbares Unterfangen.
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