Wartezimmer
Die aktuelle Lage an den Kapitalmärkten ähnelt der Situation in einem Wartezimmer beim Arzt. Alle sitzen da und hoffen darauf, dass ihr Aufenthalt im besagten Raum bald ein Ende hat. Aber auf was warten die „Patienten des Marktes“ eigentlich? Na ja, die einen warten darauf, dass die Notenbanken mit ordentlichen Zinsspritzen die Inflation entschlossen bekämpfen. Die anderen warten darauf, dass wieder Energie durch die Adern unserer Pipelines fließt. Und die dritten warten darauf, dass die Wirtschaft wieder einen rhythmischen Pulsschlag zeigt und nicht in eine Rezession rutscht. Letztlich wollen doch alle die Praxis verlassen und einen guten Gesundheitszustand attestiert bekommen. Beim Rundumblick im Wartezimmer stellt man jedoch fest, dass mehr Krankheit um einen herumsitzt, als einem lieb ist. Der italienische Patient zum Beispiel, der gerade wieder einen „draghischen“ Moment erlebt und mit Wuthochdruck seines politischen Systems kämpft. Oder die russische Plage, die weiter den ukrainischen Organismus befällt. Dazu der internationale Währungsfonds (IWF), der den Puls der Weltwirtschaft abermals in seinen neuen Prognosen gesenkt hat. Aber es stehen auch Genesene in der Warteschlange:
Warteschlange
Da ist in dieser Woche an erster Stelle die EZB-Chefin Christine Lagarde zu nennen, der ich in den letzten Monaten ein miserables Attest ausgestellt hatte. Sie verharrte bisher in einer murmeltierhaften Warteschleife des Nichtstuns und scheint diese Woche endlich die erste in der Warteschlange geworden zu sein. Starke 0,5% Zinsanstieg verkündete sie und überraschte damit die Märkte. Noch mehr überraschte sie mit der Ankündigung eines Transmissionsschutzinstruments (TPI), um mittels Anleiheaufkäufen das Auseinanderdriften der Zinsen innerhalb Europas zu verhindern. Na also, es geht doch, genau das hatte ich in meinem Interview beim Börsenradio vor einer Woche angeregt. Die europäische Notenbank hat den Wartesaal verlassen und liegt damit endlich einmal vor den Erwartungen des Marktes. Das gleiche gilt übrigens für einige Technologieaktien in dieser Woche, die mit besseren Zahlen als erwartet die Märkte beindruckten. Da sind vor allem Netflix und Tesla zu nennen, die trotz der Widrigkeiten mit Lockdowns in China oder dem Ausfall des russischen Marktes bessere Zahlen präsentierten als angenommen. Anleger schalteten daher vom Warte- auf den Kaufmodus und goutierten die Aktien der beiden Unternehmen. Ganz anders bei Snap Inc., die sich mit desaströsen Zahlen von 422 Mio. US-Dollar Verlust bei einem Umsatz von 1,1 Mrd. US-Dollar ratlos ans Ende der Warteschlange für künftige Kursgewinne stellen. Für mich auch auf dem Level kein „Snäpchen“!
Wartungsarbeiten
Und zum Ende der Wartezeit einer populären Pipeline noch diese positive Meldung: Es fließt wieder Gas durch Nord Stream 1. Zwar nur 40% der möglichen Auslastung, aber immerhin. Die Wartungsarbeiten sind zu Ende und die Pipeline ist in Betrieb. Und das trotz fehlender Turbine, die immer noch in Deutschland feststeckt. Fest steckte diese Woche auch Wladimir Putin, der beim Staatsbesuch im Iran vom türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan vorgeführt wurde. Der ließ nämlich Putin einige Zeit vor laufenden Kameras im Gesprächsraum auf sich warten und gab ihm damit eine Retourkutsche zu seinem letzten Besuch in Russland, bei dem es umgekehrt lief. Merke: Das gute deutsche Wort „warten“ bedeutet so viel wie „Ausschau halten“. Derjenige, der Ausschau hält, ist demzufolge ein Wärter, jemand der andere einsperrt.
Ihr Volker Schilling
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