Zwei Ereignisse haben die Märkte Ende Juli geprägt: der erhebliche Kursverlust einiger chinesischer Aktien und die Sitzung des geldpolitischen Ausschusses der USA. Auf den ersten Blick besteht zwischen diesen beiden Ereignissen kein Zusammenhang. Tatsächlich haben sie jedoch eines gemeinsam: Das politische Ziel eines stärkeren sozialen und nationalen Zusammenhalts hat Vorrang vor der rein ökonomischen Orthodoxie.
Politische Einschränkungen verunsichern chinesische Finanzmärkte
In China ist der Marktrückgang nämlich zum Teil das Ergebnis politischer Maßnahmen, die die Gewinne von Unternehmen eindämmen sollen, die außerstaatliche Ausbildungsmöglichkeiten anbieten. Die hohen Kosten dieser privaten Bildungsangebote sind für die Mittelschicht ein Hindernis, wenngleich die Schulbildung des Landes dadurch verbessert werden könnte. Für Xi Jinping ist es aus politischer Sicht besser, eine zusätzliche Verstärkung der Ungleichheiten zu vermeiden, auch wenn dadurch vielleicht die Leistung eines Teils der Bevölkerung reduziert wird. Überdies ist es sinnvoller, in einem Land mit einer niedrigen Geburtenrate die Kosten für Bildung zu begrenzen, auch wenn dies bedeutet, auf die wirtschaftlichen Gewinne der Unternehmen aus dem Bildungssektor zu verzichten – die jedoch zu Chinas hohem Ansehen in der Welt hätten beitragen können. Wenn der private Bildungssektor also eingeschränkt wird, welche anderen Sektoren könnten künftig das gleiche Schicksal erleiden? Man denke insbesondere an die Gesundheitsversorgung, die trotz der Versprechen einer kommunistischen Gesellschaft sehr teuer und sozial äußerst diskriminierend ist. Konsequenterweise gaben die Aktien des Gesundheitssektors allesamt nach, da sie implizit von der gleichen Art der Gängelung bedroht sind.
Ein weiterer Grund für den Rückgang des chinesischen Marktes ist die Einschränkung der Möglichkeiten für chinesische Unternehmen, über „ADR“ (American Depositary Receipts) an der US-Börse gehandelt zu werden. Hier steht der politische Wille, den amerikanischen Rechnungslegungsvorschriften zu entgehen, dem Bestreben gegenüber, einen breiteren Zugang zu ausländischem Kapital zu erhalten, das für die Entwicklung Chinas von wesentlicher Bedeutung ist. Die nationale Unabhängigkeit lässt sich nur schwer mit der Anpassung an internationale, d. h. amerikanische Standards vereinbaren. Der wirtschaftliche Kampf zwischen den USA und China ist auch ein Krieg der Standards, der mit Kollateralschäden einhergeht, nämlich dem Zugang zu US-Kapital.
US-Inflation doch nicht vorübergehend?
Was hat das mit der Sitzung der US-Notenbank am 28. Juli zu tun? Auf den ersten Blick nichts. Der Fed-Vorsitzende räumte jedoch ein, dass die hohe US-Inflation (4,5 % im volatilitätsärmsten Segment im Juni) sich als weniger vorübergehend erweisen könnte als erwartet. Unter diesem Gesichtspunkt wäre eine weitaus weniger akkommodierende Geldpolitik als derzeit der Fall angezeigt. Jerome Powell deutete jedoch auch an, dass das Ziel, die Arbeitslosenrate der am stärksten benachteiligten Gruppen zu senken, aktuell Vorrang vor fast allen anderen Überlegungen hat und daher eine sehr expansive Geldpolitik rechtfertigt. Auch hier hat der soziale Zusammenhalt Vorrang vor der ökonomischen Orthodoxie im engeren Sinn. Das Anliegen ist umso drängender, als die Fed beschuldigt wird, die Vermögensungleichheit drastisch verstärkt zu haben: Sie soll die Preise von Risikoanlagen, also das Vermögen der Wohlhabendsten, in die Höhe getrieben und damit populistische Bewegungen begünstigt haben.
Wirtschaftliche Grundsätze verlieren an Bedeutung
Man mag es bedauern oder begrüßen: Liberale wirtschaftliche Grundsätze verlieren derzeit an Bedeutung. Im Reich der Mitte – die Mitte zwischen kapitalistischer Wirtschaft und „sozialistischer“ Politik – überrascht dies zu einer Zeit, in der die Kommunistische Partei Chinas ihr hundertjähriges Bestehen feiert, kaum. Es überrascht jedoch insofern, als das Land auf die Privatwirtschaft angewiesen ist und ausländisches Kapital anziehen muss, um seine Machtposition auszubauen. Es überrascht umso mehr in einem Land, das quasi das Aushängeschild des Kapitalismus ist. Krisen haben jedoch gezeigt, wie liberalen Grundsätzen in Notsituationen auch in den USA eine Absage erteilt wurde. In diesem Punkt befinden sich „Xi Powell“ und „Jerome Jinping“ im Einklang wie Yin und Yang.
TELEX
=> Die Inflation in der Eurozone ist rückläufig. Die Kerninflation (ohne volatile Posten) in der Eurozone sank im Juli auf 0,7 % im Jahresvergleich, gegenüber 0,9 % im Juni (und einem Höchststand von 1,4 % im Januar). Damit lag sie nahe ihrem Fünfjahresdurchschnitt. Die Inflationserwartungen für fünf Jahre in fünf Jahren stiegen in den letzten Wochen jedoch auf 1,7 %. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Anleger an einen leichten Anstieg vom derzeit besonders niedrigen Niveau glauben.
=> Die US-Inflation schwächt sich ab. Für die Märkte ist die Rückkehr der Inflation ein zentrales Thema und sie beobachten die US-Kernrate für Konsumausgaben der Privathaushalte genau: Sie lag im Juni bei 3,5 % (gegenüber den erwarteten 3,7 %). Das leicht unter den Erwartungen liegende Ergebnis könnte die Annahme stützen, dass die Inflation mittelfristig unter Kontrolle bleibt. Darüber hinaus liegen die Inflationserwartungen für fünf Jahre in fünf Jahren in den USA nach wie vor bei rund 2,4 %. Eine inflationäre Überhitzung wird vom Markt derzeit also nicht erwartet. Allerdings läuft das Moratorium für Zwangsräumungen wegen ausbleibender Mietzahlungen bald aus. Daher könnte die Immobilienkomponente in naher Zukunft erheblich zulegen.
Rechtliche Hinweise