In den letzten Wochen wurden wir Zeugen eines sich aufhellenden Finanzmarktklimas. Angeführt von deutlichen Kursgewinnen bei langlaufenden Staatsanleihen schlossen sich auch die Eigenkapitalmärkte dem Aufwärtstrend an. Die Renditen für zehnjährige deutsche Staatsanleihen sind von knapp 1,8% Mitte Juni auf mittlerweile 0,8% gepurzelt; ein dramatischer Rückgang! Nicht weniger sportlich verhielten sich die Renditen anderer Staaten. Die derzeitige Form der amerikanischen Zinsstrukturkurve, die inzwischen einen inversen Verlauf aufweist, zeigt, dass die Marktteilnehmer mit einer bevorstehenden Rezession rechnen. Tatsächlich ist das Bruttoinlandsprodukt in den USA in den beiden letzten Quartalen jeweils zurückgegangen.
Gemäß alter und gut belegter Weisheit wirken fallende Langfristzinsen unterstützend auf Aktienkurse. Die letzten fünf Wochen stellen keine Ausnahme von dieser Heuristik dar. Im Gegenteil: S&P, DAX, FTSE 100 und Hang Seng Index konnten einen gehörigen Teil ihrer vorangegangenen Verluste wettmachen. Dabei ließen sich die Kurse auch nicht von den Quartalszahlen der Unternehmen aufhalten, die einen durchaus pessimistischen Unterton trugen. Einen Beitrag zu der Aufwärtsentwicklung bei Anleihen und Aktien mag auch der starke Rückgang des Ölpreises geleistet haben. Von seinen Höchstkursen ist das schwarze Gold mittlerweile mehr als 20% gefallen, so dass man auch hier von einem Bärenmarkt sprechen kann. Noch stärker erwischt hat es Industriemetalle wie Kupfer und Aluminium. Dort sind seit Jahresanfang sogar Kursverluste von 15% bis 20% zu verzeichnen.
Im Hintergrund der benannten Kursentwicklungen bestehen die bekannten wirtschaftlichen Probleme weiterhin fort. Vor allem erweist sich die Geldentwertung als hartnäckig und konsequenzenreich. Unternehmen berichten von verändertem Kaufverhalten der Konsumenten. Zudem werden steigende Personal- und Energiekosten weithin unisono erwartet.
Angesichts des aktuellen Datenkranzes tun Anleger gut daran, die jüngsten Kursavancen einstweilen lediglich als Bärenmarktrally einzustufen. Für die Ausrufung einer neuen Hausse müsste vor allem spürbare Entspannung an der Inflationsfront sichtbar werden. Zwar mag es sein, dass der Scheitelpunkt der Inflationswelle bereits hinter uns liegt; allein mit einem Rückgang auf 2% und darunter ist in den kommenden Monaten nicht zu rechnen. Ebenso wenig ist ein baldiges Ende des Ukrainekrieges zu erwarten. Und die Rivalität zwischen China und den Vereinigten Staaten befindet sich auf Eskalationskurs.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns
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