Aktienmärkte sind bestens geeignete Seismographen für Veränderungen. Der katapultartige Kursanstieg chinesischer Aktien in den letzten zwei Wochen belegt diese Beobachtung nachdrücklich.
Der seit Jahren schwächelnde Hang Seng Index der Börse in Hongkong schoss in weniger als zwei Wochen um nahezu 35 % empor. Auch die im CSI 300 gemessenen Festlandaktien sprangen um 25 % nach oben. Bekannte chinesische Dickschiffe mit Namen Tencent, Alibaba, PDD, Meituan, BYD etc. erwachten aus ihrer langjährigen Börsenlethargie und vollführten sprunghafte Kursavancen auf dem Börsenparkett. Was war geschehen?
In der kommunistischen Führung Chinas ist die Einsicht gereift, dass dem Land die wirtschaftliche Dynamik abhandenkommt. Vor allem die inländische Nachfrage lässt zu wünschen übrig und deutet auf Stimmungsprobleme in der Bevölkerung hin. Die zurückhaltende Konsumneigung dürfte vor allem auf eine Immobilienkrise zurückzuführen sein, die seit Jahren die Wirtschaft Chinas belastet. Die Jahre des wilden Immobilienbooms sind zu Ende gekommen und hinterlassen Leerstände, stark gefallene Immobilienpreise, nicht zu Ende gebaute Wohneinheiten, insolvente Projektentwickler und angeschlagene Banken. An diesem für die chinesische Wirtschaft neuralgischen Punkt greift nun Präsident Xi ein, indem er Zinsen und Mindestreservesätze senken lässt und ein großes Stimulierungsprogramm ankündigt. An den Finanzmärkten kamen die Ankündigungen auch deshalb so gut an, weil vielen Marktteilnehmern bewusst geworden ist, dass der Exportboom der letzten dreißig Jahre durch um sich greifenden Protektionismus in der westlichen Welt abflacht. Hinzu treten schwerwiegende strukturelle Probleme wie etwa die Überalterung und Schrumpfung der Bevölkerung. Entsprechend lässt die Erhöhung des Renteneintrittsalters ab dem kommenden Januar aufhorchen, denn ein Renteneintrittsalter von 50 bzw. 55 Jahren für Frauen (60 Jahren bei Männern) wirkt unzeitgemäß. Freilich ist dabei auch die Lebenserwartung zu bedenken, die in China noch unterhalb der deutschen Werte liegt.
Mit den wirtschaftlichen Friktionen hängen auch politische und soziale Spannungen zusammen. China wünscht keine Beunruhigungen seiner kommunistischen Diktatur durch wirtschaftliche Unzufriedenheiten in der Bevölkerung. Die Immobilienpreisentwicklung zwickt viele Menschen. Man erinnert sich zudem an die öffentlich gewordenen Reaktionen vieler Chinesen auf die Zwangsmaßnahmen während der Coronazeiten. Jedermann weiß seit Tiananmen, wie sensibel die KP auf diesen Gebieten ist.
Für Aktienanleger stellt sich erstens die Frage, ob chinesische Aktien grundsätzlich angefasst werden sollten oder ob das China-Risiko allgemein zu groß ist. Viele Anleger erinnern sich an das Schicksal, welches russische Aktien vor Jahren durch ein Handelsverbot westlicher Regierungen ereilt hat. Für den Fall eines chinesischen Angriffs auf Taiwan sind vergleichbare Reaktionen westlicher Regierungen durchaus nicht auszuschließen. Andererseits wirken manche der großen chinesischen Konzerne fundamental günstig und gesund. Zudem handelt es sich in der Regel um internationale Unternehmen, die auch außerhalb Chinas Wachstumschancen wahrnehmen wollen. Man denke etwa an die Automobilkonzerne aus dem Reich der Mitte, die mittlerweile auf die großen westlichen Märkte drängen und von den dortigen Regierenden offenbar nur noch durch hohe Zölle und Tarife ante portas gehalten werden können.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns