Auf die Frage, warum der französische Energieriese TotalEnergies an der Börse eine signifikant niedrigere Bewertung im Vergleich zu amerikanischen Wettbewerbern aufweise, sagte vor kurzem dessen Vorstandsvorsitzender Patrick Pouyanné, es liege an der Notierung der Aktien in Europa. In der Tat sticht seit Jahren der Bewertungsabschlag ins Auge, den europäische Unternehmen gegenüber vergleichbaren Unternehmen aus Amerika aufweisen.
Bei den Energieriesen ist dieser Diskont besonders markant. Während etwa Exxon mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 11,6 bezüglich der für 2023 erwarteten Gewinne pro Aktie bewertet wird, lautet diese Kennzahl bei TotalEnergies lediglich 5,8. Bei Chevron (Conoco) liegt das KGV bei 11,1 (10,6), während es bei Shell (BP) bei 4,4 (6,2) steht. Mit anderen Worten: Europäische Energieaktien notieren grosso modo mit einem 50%igen Abschlag gegenüber ihren US-Konkurrenten. Dabei sind die betrieblichen Verhältnisse recht ähnlich, zumal gerade Shell und BP große US-Geschäfte betreiben und auch in US-Dollar bilanzieren. Die Politiker in den europäischen Hauptstädten wären gut beraten, darüber nachzudenken, ob ihre aktivistischen und zugleich systemwidrigen `Übergewinnsteuern´ dem Standort Europa helfen oder nicht vielmehr erheblichen Schaden zufügen. Die Schwarmintelligenz des Marktes, die bekanntlich täglich mit dem eigenen Geldbeutel über die richtige Bewertung von Aktien an den Börsen abstimmt, stellt Europa kein gutes Zeugnis aus.
Die geringere Wertschätzung europäischer Aktien bezieht sich keineswegs nur auf die Energiebranche. Vergleicht man etwa SAP mit Microsoft und Salesforce, oder Fuchs Petrolub mit Valvoline und Deutsche Bank mit J.P. Morgan, so kommt man zu ganz ähnlichen Resultaten. Auf der Ebene der Aktienindizes zeigt sich für die im S&P 500 zusammengefassten Aktien aktuell ein durchschnittliches KGV von 18,4, während der Wert für den DAX bei 12 und jener für den britischen FTSE bei 9,6 liegt. Derweil liegen die durchschnittlichen Dividenden mit 3,6 % im DAX mehr als doppelt so hoch wie im S&P 500 mit einem Wert von 1,7 % (bei FTSE beträgt der Wert 4 %).
Vielleicht sollte es der europäischen Politik zu denken geben, dass Europa an Aktieninvestoren einen so hohen Malus gegenüber ihren amerikanischen Pendants aufweist. Denn die geringeren Bewertungen bringen handfeste Nachteile mit sich, nicht zuletzt auch für den Staat und damit für den Steuerzahler. Je höher die Bewertung des Eigenkapitals ausfällt, desto niedriger sind für die Unternehmen die Eigenkapitalkosten. Vorteile bei den Kapitalkosten ermöglichen bessere Positionen bei Wachstum und Finanzierung. Obendrein stellen hoch bewertete Aktien eine hervorragende Akquisitionswährung dar, wie man jüngst bei der Übernahme von Viessmann durch Carrier Global beobachten konnte.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns
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