Ohne Zweifel wird das Jahr 2022 als bedeutender weltgeschichtlicher Jahrgang in die Annalen eingehen. Vor allem der Angriff Russlands auf die Ukraine hat das Jahr geprägt und für sicher gehaltene Meinungen erschüttert. Mehr noch: Jahrzehntelang gepflegte Auffassungen mussten ad acta gelegt und korrigiert werden.
Dazu gehört etwa die bundesdeutsche Erkenntnis, zukünftig die Verteidigungsfähigkeit des Landes wiederherzustellen. Mit dieser Einhundertundachtzigrad-Wende steht Deutschland keineswegs allein. Neben anderen europäischen Ländern hat vor allem Japan eine Abkehr von seiner bisherigen pazifistischen Politik und wesentliche Aufrüstung beschlossen. Nicht minder radikal sind die Veränderungen in der Energiepolitik. Kohle und Fracking-Gas erleben unter einem grünen Wirtschafts- und Klimaschutzminister einen Boom in Deutschland. Von den vier Zielen (Energieversorgungssicherheit, Energieunabhängigkeit, Energieerschwinglichkeit und niedrige Emissionen) wird fast 25 Jahre nach der Energiewende durch Schröder /Fischer kein einziges erreicht.
Auch an den Finanzmärkten ereigneten sich schwerwiegende Verschiebungen. Allen voran ist dabei an die Zinswende zu denken, die rasch und in Siebenmeilenstiefeln daherkam. Noch zu Anfang des Jahres 2022 lag der Dreimonatszins in Deutschland bei minus 0,6%, während er heute bei ca. 1,75% steht. Und am langen Ende der Zinsstrukturkurve hat sich ein Markt-Crash ereignet. Die einhundertjährige Anleihe des Bundeslandes Nordrhein Westfalen mit einem Zinskupon von 1,45% und einer Laufzeit bis zum 19. Januar 2122 wurde zu 99,06 emittiert. Heute notiert das Papier bei ca. 58. Ohne Zweifel werden die heftigen Kurseinbrüche bei langlaufenden Anleihen Konsequenzen bei Versorgungskassen, Pensionseinrichtungen und anderen Kapitalsammelstellen nach sich ziehen. In diesem Zusammenhang wird man auch die Notenbanken nennen müssen, denn diese haben in den letzten Jahren ihre Bilanzen vollgeladen mit Anleihen. Klar ist überdies, dass vor allem die Immobilienmärkte unter den Zinsanstiegen leiden.
Dass die Aktienmärkte von der beschriebenen Entwicklung auf den Zinsmärkten negativ tangiert wurden, sollte niemanden verwundern. Die paradiesischen Zeiten billigen Geldes hatten dort zu mancherlei Kursexzessen geführt, vor allem im Segment sogenannter Technologieaktien. Darüber hinaus trug das billige Geld maßgeblich zu den Spekulationswellen bei virtuellen Kryptomünzen und Börsenmänteln unter der Chiffre SPAC bei. Insgesamt fällt auf, dass amerikanische Aktien aus dem Internetsektor die Börsentalfahrt anführen. Angesichts der vorangegangenen kometenhaften Kursanstiege ist dies jedoch keine große Überraschung. Demgegenüber sticht die Börsenentwicklung in Europa und Japan positiv hervor. Im Lichte der weltweiten Finanzmarktbaisse zieht sich etwa der DAX-Index mit einem Kursverlust von ca. 13% recht achtbar aus der Affäre.
Kapitalanleger wurden also im Jahr 2022 erheblich gebeutelt. Zu den Verlusten tritt jedoch noch der hohe Kaufkraftverlust hinzu, den alle Bürger durch die in Galopp geratene Inflation erlitten haben. Somit hat die materielle Wohlstandsentwicklung einen historischen Kipppunkt hinter sich. Es wird Jahre dauern, bis die alten Wohlstandniveaus real wieder erreicht werden. Manches spricht gar dafür (z.B. Demographie), dass dies auf absehbare Zeit gar nicht mehr möglich ist.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns
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