Die Preise für Rohöl sind in den letzten Wochen deutlich gefallen. Sie liegen heute niedriger als beim Kriegsausbrunch in der Ukraine Ende Februar. Für den leidgeplagten Autofahrer sind das gute Nachrichten, wiewohl stets zu bedenken ist, dass der Treibstoffpreis an der Tankstelle in Deutschland zu mehr als der Hälfte aus Steuern besteht.
Fest steht, dass der Ölpreis (Nordseesorte Brent) heute deutlich niedriger liegt als noch vor zehn Jahren. Am Jahresende 2012 lag sein Kurs bei ca. 106 US-Dollar, woran man ersehen kann, dass der Ölpreis über die lange Frist ein Inflationssenker ist. Für die Energieunternehmen vom Schlage Exxon, Shell, Chevron, BP, Total Energies, ENI und andere ist das keine gute Nachricht. Wäre es diesen Unternehmen nicht gelungen, durch technischen und organisatorischen Fortschritt ihre Effizienz erheblich zu steigern, dann müsste man sich um den Bestand dieser systemrelevanten Branche große Sorgen machen. Der Gedanke ist auch deshalb richtig, weil die Energieindustrie traditionell zu den äußerst hoch besteuerten Industrien zählt. Dabei ist grundsätzlich zu bedenken, dass die Unternehmenssteuern in den Vereinigten Staaten von Amerika seit der Unternehmenssteuerreform 2017 markant unterhalb der vergleichbaren europäischen Steuersätze liegen. Die britische Shell zahlte in den letzten zehn Jahren im Schnitt 32% ihres Vorsteuergewinns an den Staat, während es beim Londoner Nachbarn BP 46% waren. Bei Total Energies lag der effektive Ertragssteuersatz bei 33% und bei ENI in Italien waren es sogar 66%. Demgegenüber lagen die Steuersätze bei Exxon und Chevron bei 20% respektive 24%. Sodann muss man sich nicht wundern, dass die Investitionen der Energieindustrie zunehmend in die USA gehen. Erst in den letzten Wochen kündigte Repsol aus Spanien an, 40% seiner Investitionen künftig in den USA vorzunehmen. Die Iberer folgen damit BP und RWE, die beide ihrerseits zuletzt große Zukäufe in den Vereinigten Staaten vermeldeten. Neben der ohnehin bereits hohen Abgabenlast dürfte auch das Menetekel einer „Übergewinnsteuer“ bei den Investitionsentscheidungen eine Rolle spielen. Insgesamt machen die Aussagen europäischer Politiker von Tag zu Tag deutlich, dass Energieunternehmen außerhalb des enorm subventionierten Wind- und Solarsektors nicht zu den Vorstellungen in den Hauptstädten passen. Für energieintensive Betriebe dürfte das Gleiche gelten, so dass Chemie- und Stahlwerke, Zementfabriken, Kupferschmelzen und Glashersteller perspektivisch vertrieben werden. Überdies wird ja zunehmend klar, dass beim Ausbau von Solar- und Windkraft in Europa überwiegend chinesisches Material zum Einsatz kommen wird. Derweil stammt das Erdgas aus Katar und den USA während der Wasserstoff aus Australien und Kanada über viele tausend Seemeilen angeliefert werden soll. Auch bei Kohle und Uran sieht die europäische Eigenleistung ziemlich mau aus.
An den Börsen sind die unterschiedlichen Umfeldbedingungen der Energiemärkte längst in die Kurse von Exxon, BP und Co. eingepreist worden. Auffällig ist etwa, dass Exxon derzeit mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 10,2 bezogen auf die geschätzten Gewinne des Jahres 2023 gehandelt werden, während es bei Shell nur zu einem KGV von 5,6 reicht. Bei Chevron beträgt die Kennzahl 10,8 und bei BP 5,4. Vergleicht man diese Bewertungszahl mit dem Gesamtmarkt, dann offenbart sich die Geringschätzung, mit welcher die Energieunternehmen derzeit betrachtet werden. Der amerikanische S&P 500 Index weist für das Jahr 2023 nach derzeitigen Analystenschätzungen (Bloomberg) ein KGV von 18,3 auf. Beim britischen FTSE 100 steht ein Wert von 9,8 zu Buche während dieser beim DAX bei 11,6 liegt. Antizyklisch verhielt sich in den letzten Monaten Warren Buffet. Der bekannte und erfahrene Investor kaufte sich für 30 Milliarden Dollar Pakete in Occidental Petroleum und Chevron.
Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns
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