Beobachter des Lebens wissen, dass große Wörter im Laufe der Zeit einem Verschleiß bzw. einer Inflation unterliegen. Mitunter werden sie durch Übergebrauch bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Die Wörter `Liebe´, `Freundschaft´, `Verantwortung´ `Nachhaltigkeit`, `sozial´ und zuletzt vor allem `Gerechtigkeit´ sind Beispiele solcher Entwicklungen.
Im Wirtschaftsleben und vor allem am Finanzmarkt zählt der Terminus `Risikomanagement´ zu der Kategorie wohlklingender aber weitgehend entkernter Sprachblasen. Kein Finanzdienstleistungsunternehmen ist bekannt, dass nicht über ein sogenanntes `Risikomanagementsystem´ verfügt. Die gesamte Branche ist nachgerade gesetzlich angehalten, derartige Systeme vorzuhalten. Für die großen Häuser des Kapitalmarktes wie z.B. Goldman Sachs, Morgan Stanley, Deutsche Bank, UBS, Credit Suisse, Nomura Holdings etc. gilt das ganz gewiss. Daher wundert sich der aufmerksame Zeitgenosse über das jüngst zu bestaunende Archegos-Fiasko.
Dort hatte ein vormaliger Hedgefonds-Manager und wegen Insiderhandel verurteilter Spekulant ein riesiges Portfolio von Aktienderivaten mit überwiegend geliehenem Geld aufgebaut. Der gute Leumund seines vormaligen Arbeitgebers (Tiger Asset Management) half ihm, Zugang und Vertrauen bei den Kredit gebenden Investmentbanken zu finden. Man hört von einem Depotvolumen in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar bei fast achtfachem Beleihungshebel.
Als Aktienpositionen, die von Archegos in luftige Höhen nach oben gekauft worden waren und die als Sicherheiten für die hohen Kredite dienten, zu fallen anfingen und damit ins Defizit rutschten, pochten erste Kreditgeber auf Nachschüsse, die aber von Archegos nicht geleistet werden konnten. Sodann entschieden einige Kreditgeber, die als Sicherheit gehaltenen Aktien zu verkaufen, um von den Krediten zu retten, was noch zu retten war. Eine Kettenreaktion kam in Gang und jene Institute, die zuletzt verkauften, namentlich Credit Suisse und Nomura Holdings, hatten den größten finanziellen Verlust. Insgesamt liegt der Schaden für die Aktionäre der beteiligten Finanzhäuser oberhalb von zehn Milliarden US-Dollar.
Wie der Fall zeigt, besteht Risikomanagement in der gelebten Finanzmarktpraxis oftmals darin, Schäden zu begrenzen, sobald sie eintreten. Ist die Schadenssumme dann zu hoch, so wird nach dem Staat gerufen, der dann mit Steuer- bzw. Notenbankgeld bei systemrelevanten Banken und Versicherern zur Rettung schreitet. So jedenfalls stellte sich das Bild in der großen Finanzkrise dar und man wird den Eindruck nicht los, als habe sich in der Hochfinanz beim Umgang mit Risiken nur Weniges verändert. Leider zeigt der Archegos-Fall einmal mehr, dass die Aufsichtsbehörden keine proaktive Rolle spielen, sondern vielmehr selbst erst aufwachen, wenn das Kind bereits den Brunnen gefallen ist. Den Aufsichtsbehörden ist daher anzuraten, ihren Fokus vor allem auf Fremdkapitalengagements, Derivate (vor allem außerbörslich gehandelte) und hohe finanzielle Hebel zu lenken, um künftig kreditfinanzierte Spekulationsexzesse à la Archegos aber auch à la LTCM zu verhindern.
Im Kern sollte Risikomanagement in einer `prae meditatio malorum´ bestehen, von der etwa Zenon von Kition, der Begründer der Stoa, bereits 300 Jahre vor Christi Geburt gesprochen hat. Dabei geht es um das vorausschauende Vermeiden zu großer Gefahren, wie es im Aktienfondsmanagement der LOYS AG seit 2005 gang und gäbe ist. Freilich können die Anleger mithelfen, Risiken zu vermeiden, indem nicht jeder spektakulären Kurzfristperformance nachgelaufen wird, wie dies einstmals bei LTCM, bei Subprime-Anleihen, bei Wirecard und aktuell bei Kryptowährungen der Fall ist. Exzessiv hohe Bewertungen, wie sie heute in manchen Marktsegmenten der Börse zu diagnostizieren sind, stellen ein erhebliches Risiko dar. Man muss nicht auf jeder Party mittanzen. Klüger ist es, gute Feiern auszuwählen und dort möglichst lange auszuharren.
Ihre
Fondsmanager und Mitinvestoren
Dr. Christoph Bruns & Ufuk Boydak
Chicago, Frankfurt a.M.
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