Viele Investoren beschäftigen sich intensiv mit verschiedenen Analyseverfahren, informieren sich über aktuelle wirtschaftliche Geschehen und vergessen viel zu oft die Relevanz Ihrer eigenen Psychologie. Das größte Risiko beim Investieren sind nicht fallende Kurse oder unvorhergesehene makroökonomische Ereignisse, sondern der Anleger selbst. Welche psychologischen Fehler am häufigsten beim Investieren zutreffen und wie Sie den Einfluss Ihrer Psyche gering halten, lesen Sie in diesem Artikel.
Psychologie beim Investieren: Omnipräsent aber unterschätzt
SWOT-Analyse, Porters Five Forces oder die technische Analyse haben gemeinsam, dass sie Investoren einen rationalen Handlungsrahmen geben. Die meisten Investoren und vor allem aktive Händler sind sich über die Anwendung und Funktionsweise besagter Modelle bewusst und dennoch halten sich die wenigsten Akteure an der Börse strikt an ihre Handelspläne. Häufig werden Handelspläne, aus finanzwissenschaftlicher Sicht, von Grund auf unvorteilhaft konstruiert. Schuld ist allzu oft die eigene Psyche. Der Einfluss der eigenen Psyche ist beim Investieren so omnipräsent, dass sich eine eigene finanzwissenschaftliche Disziplin einzig und allein damit beschäftigt, wie Psychologie und Finanzen miteinander verbunden sind: Behavioral Finance.
Das Heimtückische: Viele Investoren realisieren gar nicht erst, dass sie einer psychologischen Falle oder einem Denkfehler unterliegen. Wir möchten Ihnen in diesem Artikel eine kleine Übersicht geben, welche psychologischen Fehler besonders häufig beim Investieren in Aktien vorkommen und beleuchten, wie Sie diese Fehler vermeiden können.
Die verbreitetsten psychologischen Fallen
Home Bias
Einer der häufigsten psychologischen Anlagefehler ist der Home Bias. Dieser beschreibt, dass Anleger aus einem Land die Aktien ihres Heimatlandes übergewichten. Aus einer Studie der Vermögensverwaltung Whitebox geht hervor, dass die Deutschen im Schnitt über die Hälfte ihres Vermögens, welches in Aktien angelegt wird, in deutsche Aktien anlegen. Dabei hängt die Performance des DAX hinter der des MSCI World oder des S&P 500.
Im untersuchten Zeitraum der Studie (2016-2021) erzielte der DAX eine Performance von 45 %. Der MSCI World kam auf eine Gesamtrendite von rund 73 %.
Die Gründe hinter dem Home Bias sind nicht vollständig geklärt. Eine Erklärung könnte das Gefühl der Vertrautheit sein. Eine BMW-Aktie scheint verständlicher, nahbarer und vertrauter als eine Realty Income Aktie. Mögliche weitere Gründe könnten in der Sprachbarriere liegen, die eine Analyse erschweren kann.
Overconfidence Bias
Würden Sie sich als guten Autofahrer bezeichnen? Halten Sie sich für einen guten Investor?
Bevor wir auf die Investoren kommen, schauen wir uns die Autofahrer an: Im Schnitt behaupten knapp 73 % der Männer und rund 70 % der Frauen, dass sie überdurchschnittliche Fahrer seien. Viele behaupten sogar, sie seien weitüberdurchschnittliche Fahrer. Diese Selbstüberschätzung trifft natürlich nicht nur auf Autofahrer zu. Universitätsprofessoren, Schüler und eben auch Investoren halten sich größtenteils für kompetenter als andere.
Wie gefährlich dieser Overconfidence-Bias beim Investieren werden kann, zeigen unzählige Studien. Allzu oft wird fleißig Stock-Picking betrieben, mit dem Ziel den Gesamtmarkt zu schlagen. Am Ende des Tages schaffen es nur die wenigsten den Markt outzuperformen. Selbst erfahrene Fondsmanager tun sich häufig schwer damit ihre Benchmark zu schlagen.
Dunning-Kruger-Effekt
Der Dunning-Kruger-Effekt, benannt nach den beiden Wissenschaftlern Dunning und Kruger, beschreibt die Selbstüberschätzung der Inkompetenten und die Selbstunterschätzung der Kompetenten. Damit greifen der Dunning-Kruger-Effekt und der Overconfidence-Bias ineinander.
Diese psychologische Falle ist tatsächlich die kritischste, wenn es um das Anlegen mit Blick auf Privatanleger geht. Viele Privatanleger lesen in einem Börsenbrief, einer Blogseite oder sonstigen Quellen von Anlagetipps oder generellen Börseninformationen. Häufig werden Videos angeschaut oder es wird mit Freunden und Familie über bestimmte Aktien oder Anlagestrategien gesprochen. Das Problem: Viele wissen nicht, wie viel sie nicht wissen. Durch das Konsumieren verschiedener Börseninformationen erhalten viele Privatanleger schnell den Eindruck, dass sie über genug Expertise verfügen, um Stock-Picking zu betreiben, mit Derivaten zu spekulieren oder mit hohen Hebeln zu agieren.
Finanzmärkte sind mehr als Aktien, Anleihen und Derivate. Eine Prognose ist mehr als mit öffentlichen Daten Schlüsse zu ziehen, die der Markt lange eingepreist hat. Zum erfolgreichen Stock-Picking reicht es nicht aus, zwei oder drei Artikel über eine Firma zu lesen und eine Unterstützung in den Chart zu zeichnen.
Der Dunning-Kruger-Effekt ist ein universelles psychologisches Phänomen und besonders an der Börse kann es kostspielig werden.
Fear Of Missing Out
FOMO – vermutlich haben Sie davon schon gehört. Sie haben eigentlich keine Lust auf ein Event, aber Sie gehen trotzdem hin: Nicht, dass etwas verpasst wird. An der Börse passiert es allzu oft, dass Aktien in die Höhe jagen und ein Hoch nach dem anderen knacken. Vermutlich haben Sie noch kurze Zeit zuvor darüber nachgedacht in besagte Aktien zu investieren, aber sich aufgrund der Unsicherheit dagegen entschieden. Springen Sie jetzt verzögert auf den Zug auf, unterliegen Sie einem psychologischen Fehler – dem Fear of Missing Out.
Die Konsequenz, wenn Sie hier Ihrer Psychologie zum Opfer fallen: Sie kaufen teuer und verkaufen günstig, nachdem die Kurse eine Korrektur durchlaufen haben.
Prospect Theory
Betreiben Sie Ihr Risikomanagement mit Stop-Loss-Orders? In diesem Fall wissen Sie sicherlich, wie schwierig es sein kann, der eigenen Psyche zu widerstehen und den Stop nicht weiter in den Verlust zu ziehen.
Nehmen Sie an, Sie legen 100.000 EUR an und erzielen binnen eines Jahres, nachdem Ihr Konto zeitweise tief in den roten Zahlen war, eine Nettorendite von 90.000 EUR. Die Kurse werden in Zukunft vermutlich weiterhin stark schwanken. Würden Sie den Gewinn realisieren oder weiter auf höhere Kurse spekulieren?
Nehmen Sie nun an, dass Sie 100.000 EUR anlegen und stattdessen 90.000 EUR verlieren. Ihr Depot notiert jetzt bei 10.000 EUR. Sie investieren weiterhin in den gleichen volatilen Titel. Würden Sie Ihre Gewinne realisieren oder auf steigende Kurse spekulieren?
Sollten Sie sich im ersten Szenario für eine Gewinnrealisierung und im zweiten Szenario für eine fortführende Spekulation entschieden haben, sind Sie Ihrer Psyche ein weiteres Mal zum Opfer gefallen. Rational betrachtet sind es identische Ereignisse in ihrer Intensität: Im ersten Szenario gewinnen Sie 90 %, im zweiten Szenario verlieren Sie 90 %. Egal wie Sie sich entscheiden, Ihre Entscheidung müsste in beiden Szenarien gleich bleiben. Entweder verkaufen Sie in beiden Fällen oder bleiben in beiden Fällen weiterhin investiert.
Die Prospect Theory besagt, dass wir Gewinne und Verluste anders bewerten. Bei Gewinnen möchten wir die Gewinne schnell sichern, damit wir diese keinen potenziellen Verlustrisiken aussetzen. Nach einem Verlust hingegen hoffen wir, dass wir unsere Verluste amortisieren.
Wenn es um Geld geht, kann dieses Verhalten teuer werden: Casinos nutzen diese psychologische Falle aus, da viele Spieler nach Verlusten hoffen, dass sie zumindest Ihre Einzahlung wieder reinholen.
Wer die eigene Psyche versteht, ist im Vorteil
Der erste Schritt zur Verbesserung eines Verhaltens oder eines Zustandes ist das Bewusstsein dafür. Das Bewusstsein über die eigene Psyche und die potenziellen Fallen ist essenziell, wenn Sie erfolgreich an der Börse handeln möchten.
Eine einfache aber zugleich effektive Art ist das Konstruieren und Automatisieren einer vorgefertigten Handelsstrategie, welche Sie auch im Nachgang nur nach gründlicher Evaluation der Performance adjustieren. Wie bereits erwähnt, können Handelsstrategien jedoch, eben aufgrund der psychologischen Fallen, von Grund auf unvorteilhaft konstruiert sein. Es ist wichtig, dass Sie vor der Konstruktion Ihrer Handelsstrategie sowohl über eine fachliche finanzielle Bildung als auch ein Bewusstsein für Ihre eigene Psyche und Risikotoleranz verfügen. Die Handelsstrategie sollte dabei möglichst alle Szenarien abdecken, von Verdopplern bis zu Totalverlusten.
Fazit: Psychologie im Handel verstehen und reflektieren
Erfolgreiche Investoren und Händler beherrschen nicht nur das fachliche Handwerk der Finanzwirtschaft, sondern sind auch in der Lage, sich selbst zu reflektieren und Emotionen im Handel zu unterdrücken. Ein kühler Kopf und rationales Verhalten sind der Schlüssel für kontinuierliche und replizierbare Ergebnisse am Markt. Behavioral Finance ist ein relativ junges Feld der Finanzwissenschaft und wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten womöglich viele neue Erkenntnisse hervorbringen, mit denen Sie zu einem besseren Investor werden.
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