Eine alte Börsenweisheit besagt sinngemäß, dass Aktienkurse in stabilen Bullenmärkten trotz negativer Nachrichten und verschiedener Risikofaktoren weiter steigen. Die Börsen erklimmen dabei also gewissermaßen eine „Mauer der Ängste und Sorgen“.
Das Jahr 2024 dürfte bereits jetzt als weiteres Beispiel für dieses Phänomen gelten. Das Superwahljahr, geopolitische Krisenherde oder die Gefahr einer Rezession – um nur einige Stichworte zu nennen – hätten allesamt das Potenzial gehabt, die Entwicklungen am Kapitalmarkt in diesem Jahr negativ zu beeinflussen oder zumindest vorübergehend für eine stark erhöhte Volatilität zu sorgen. Darüber hinaus mussten die Marktteilnehmer mit der Unsicherheit hinsichtlich der Zinspolitik, der geringen Marktbreite und der starken Abhängigkeit von den größten US-Wachstumsaktien („Magnificent 7“) umgehen. Hinzu kamen zeitweise unterbrochene Lieferketten im Welthandel und die Gefahr eines stark steigenden Ölpreises durch die Eskalation im Nahostkonflikt.
Doch trotz all dieser potenziellen Gefahrenquellen ist 2024 bisher ein außergewöhnlich erfolgreiches Jahr für die Kapitalmärkte, insbesondere für riskantere Anlageklassen. Die Gründe dafür liegen einerseits in der positiven Entwicklung der US-Unternehmensgewinne und andererseits darin, dass das US-Wirtschaftswachstum bislang durchweg positiv überrascht hat. Außerdem haben die meisten Notenbanken im Laufe des Jahres infolge einer nachlassenden Inflation tatsächlich die Zinswende eingeleitet. Bemerkenswert ist dabei, dass die erste Zinssenkung der Fed im September um deutliche 50 Basispunkte erfolgte – und das bei kräftigem Wirtschaftswachstum und einem weiterhin robusten Arbeitsmarkt in den USA, nicht etwa im Kontext einer sich anbahnenden Rezession. Der Ausgang und die Folgen der US-Wahl sind das wohl meistbeachtete politische Event-Risiko in diesem Jahr und dürften vorübergehend für Volatilität an den Finanzmärkten sorgen.
Wir bleiben daher bis auf Weiteres in der taktischen Asset-Allocation neutral positioniert.
Marktumfeld – Anleihemärkte
Anleihemarkt: Starker Renditeanstieg im Oktober
In den letzten eineinhalb Monaten wurde der Großteil des Renditerückgangs vom Sommer an den Anleihemärkten wieder aufgeholt. So stiegen die Renditen zehnjähriger deutscher Anleihen beispielsweise von einem Tiefpunkt nahe 2 Prozent Mitte September bis Ende Oktober auf rund 2,4 Prozent. Dies entspricht nun mehr der Markterwartung eines Leitzinses von 2,0 Prozent für das nächste Jahr.
Noch ausgeprägter war der Anstieg der Renditen in den USA: Die zehnjährigen Renditen kletterten von 3,6 Prozent auf rund 4,3 Prozent, was ein Vier-Monats-Hoch darstellt. Haupttreiber dieses Anstiegs waren deutlich bessere Wirtschaftsdaten. Zusätzlich kam in den USA die Sorge auf, dass der Wahlsieg Trumps die angedrohten Einfuhrzölle zur Folge haben könnte, was zu einer deutlich höheren Inflation und damit zu geringeren Zinssenkungen führen würde. Vor diesem Hintergrund war die Monatsperformance der meisten Anleihemärkte eher schwach – mit Ausnahme des High-Yield-Segments, das überproportional vom besseren Konjunkturausblick profitierte.
Marktumfeld – Aktienmärkte
Aktienmarkt: Leicht schwächer
Ein größtenteils freundlicher Aktienmonat Oktober kippte zum Monatsende dann doch noch leicht ins Minus und brachte auf den meisten Aktienmärkten eine geringfügig negative Monatsperformance. Stärkere Wirtschaftsdaten, vor allem aus den USA, waren zwar per se positiv für Unternehmen, gleichzeitig musste der Aktienmarkt aber auch mit einem Auspreisen einiger US-Zinssenkungen und parallel dazu steigenden Anleiherenditen zurechtkommen. Dazu kam die Unsicherheit vor den US-Wahlen, die insbesondere für Nicht-US-Aktienmärkte negatives Überraschungspotenzial (insbesondere höhere Einfuhrzölle im Falle eines Trump-Siegs) mit sich brachten.
Die Performance seit Jahresbeginn ist jedoch für die meisten Aktienmärkte nach wie vor äußerst vorteilhaft und reicht von rund 8 bis über 20 Prozent. Spitzenreiter auf Jahresbasis bleibt nach dem kometenhaften Anstieg im Vormonat der chinesische Aktienmarkt, auch
wenn ein Teil des jüngsten Kursanstiegs in den letzten Wochen wieder abgegeben wurde.
Marktumfeld – Rohstoffe und Währungen
Gold mit nächstem Preisrekord
Die Rekordjagd beim Goldpreis setzte sich auch im Oktober fort; Ende Oktober wurde mit fast 2.800 US-Dollar pro Unze erneut ein Allzeithoch erreicht. Dies ist umso bemerkenswerter, da die US-Leitzinserwartungen – historisch ein starker Treiber für die Goldpreisentwicklung – zuletzt nicht weiter gesenkt wurden. Stattdessen wurden im Oktober einige zuvor für 2025 erwartete Zinssenkungen sogar wieder ausgepreist.
Andere Rohstoffpreise tun sich dagegen nach wie vor deutlich schwerer: Die Energiepreise stagnierten auch im Oktober (positiv für die
Inflation!) und liegen seit Jahresbeginn rund 10 Prozent niedriger. Solange der Nahostkonflikt die Ölexporte durch den Persischen Golf nicht gefährdet, scheint der Markt das politische Risiko in der Region zu ignorieren. Industriemetalle insgesamt haben – trotz einzelner Ausreißer – seit Jahresbeginn eine annähernde Nullrendite erzielt.
Auffällig bei den Währungen: Mit dem Auspreisen der US-Zinssenkungen konnte sich der US-Dollar deutlich erholen. Der Euro-US-Dollar-Kurs liegt mit 1,08 damit wieder in der Mitte der Bandbreite, die seit Ende 2022 zu beobachten ist. Schwächer zeigten sich hingegen der Japanische Yen und einige Schwellenland-Währungen.
Ausblick – Globale Wirtschaft
US-Konjunktur robust – Schwächepol Zentraleuropa
Auch wenn der subjektive Eindruck in Österreich und Deutschland ein anderer ist: Insgesamt verzeichnet die Weltwirtschaft weiterhin ein robustes Wachstum. Insbesondere in den USA war das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal mit 2,8 Prozent sogar überdurchschnittlich. Zwar befindet sich auch in den USA – wie in den meisten Industrieländern – der Industriesektor in einer Rezession, doch dieser Sektor ist dort recht klein und wird vom boomenden Dienstleistungssektor mehr als ausgeglichen. In Deutschland und Österreich hingegen ist der derzeit schrumpfende Industriesektor relativ groß – ein strukturelles Problem und ein Grund dafür, warum die Wirtschaft in diesen beiden Ländern heuer stagniert oder leicht schrumpft.
Für die Eurozone sieht die Lage dagegen deutlich besser aus: Hier betrug das BIP-Wachstum zuletzt im dritten Quartal, auf das Jahr hochgerechnet, 1,6 Prozent. In China ist durch die jüngsten und absehbaren staatlichen Unterstützungsmaßnahmen die Wahrscheinlichkeit stark gestiegen, dass die Wachstumsziele für 2025 erreicht werden.
Ausblick – Inflation und Notenbanken
Stabilisierung bei Inflation – Notenbanken normalisieren Zinsen
Die Inflationsentwicklung in den meisten Industrieländern zeigt weiterhin erfreuliche Tendenzen. In der Eurozone hat sich der Anstieg des Verbraucherpreisindex inzwischen bei jährlich 2 Prozent eingependelt (einen Monat zuvor lag er sogar nur bei 1,8 Prozent). Dies ist teilweise auf die im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunkenen Energiepreise zurückzuführen. Doch auch ohne die Energiepreise (Kerninflation) liegt die Inflationsrate mit plus 2,7 Prozent pro Jahr nicht mehr weit vom Zielwert der Notenbank von 2 Prozent entfernt.
Die Notenbanken haben damit erheblichen Spielraum, das Zinsniveau zu normalisieren: Mit 3,25 Prozent ist das Leitzinsniveau im Euroraum derzeit noch relativ hoch und wirkt bremsend auf die Konjunktur. Es wird allgemein erwartet, dass dieses Leitzinsniveau bis Mitte 2025 auf 2,0 Prozent sinken wird.
In den USA liegt die Inflationsrate bei 2,5 Prozent pro Jahr (Kernrate ebenfalls 2,7 Prozent), also etwas höher. Mit einem Leitzins von zuletzt 4,75 Prozent gibt es jedoch auch hier viel Raum für weitere Zinssenkungen. Aktuelle Zinsfutures prognostizieren US-Leitzinssenkungen auf 3,5 Prozent bis Mitte 2025.
Ausblick – Anleihemärkte
Anleihemärkte: Unternehmensanleihen und Schwellenländeranleihen weiterhin bevorzugt
Die Erwartungen für Leitzinsen und Anleiherenditen haben sich zuletzt von sehr niedrigen Niveaus wieder etwas nach oben verschoben, was den zukünftigen Ertragsausblick leicht verbessert. Der Anleihemarkt bewertet die Renditen zehnjähriger deutscher Staatsanleihen aktuell mit rund 2,4 Prozent – knapp über dem erwarteten Leitzinstief von 2,0 Prozent für 2025. Dies bleibt plausibel, solange die Aussichten für Inflation und Konjunktur gedämpft sind.
In einem Umfeld mit schwachem, aber positivem Wirtschaftswachstum (eine Rezession wird für 2025 nicht erwartet) und gleichzeitig sinkenden Zinsen sollten Spread-Produkte weiterhin eine Outperformance erzielen. Dies wurde hier bereits mehrfach ausgeführt und hat sich heuer bis dato als sehr erfolgreiche Strategie erwiesen.
Wir setzen daher weiterhin auf eine Übergewichtung von Unternehmensanleihen im Euro-Investment-Grade-Segment, von italienischen und französischen Staatsanleihen innerhalb der Euro-Staatsanleihen sowie auf Schwellenländeranleihen in Hartwährung (US-Dollar) gegenüber US-Staatsanleihen.
Ausblick – Aktienmärkte global
Aktienmarkt: Vor der US-Wahl neutral gewichtet
Für unsere kurzfristige Allokation, umgesetzt Anfang November noch vor der US-Präsidentschaftswahl, bleiben wir bei einer neutralen Gewichtung von Aktien im Vergleich zu Anleihen. Das Risiko einer kurzfristigen negativen Überraschung ist zu groß: Der Wahlsieg Trumps kann tendenziell zu Zöllen führen, was vor allem für europäische und insbesondere chinesische Börsen belastend wäre.
Das übergeordnete Bild bleibt für Aktienmärkte weiterhin positiv: Die Aussicht auf eine „weiche Landung“ der Wirtschaft ist intakt und die stark gesunkenen Inflationsraten lassen gleichzeitig viel Spielraum für Zinssenkungen. Dies hat bisher zu einer ausgezeichneten Jahresperformance beigetragen.
Von der Inflationsseite sehen wir dieses positive Bild gut abgesichert. Größer schätzen wir jedoch das Risiko auf der Konjunkturseite ein, insbesondere da sich der wirtschaftliche Ausblick in Europa in den letzten Monaten verschlechtert hat und Zinssenkungen hier voraussichtlich erst im Laufe des nächsten Jahres positive Effekte zeigen würden. Auch die bisher wenig beachteten geopolitischen Konflikte könnten jederzeit an Bedeutung für die globale Wirtschaft gewinnen und dann kurzfristig auch die Finanzmärkte beeinflussen.
Ausblick – Aktienmärkte regional
Selektive taktische Über- und Untergewichtungen
Für unsere kurzfristigen (taktischen) Aktienmarktgewichtungen bleiben wir im November in Nordamerika übergewichtet. Für Schwellenländer (EM) insgesamt sind wir weiterhin negativ eingestellt.
Der Großteil unserer Positionen ist jedoch innerhalb Europas verteilt und neutralisiert sich teilweise gegenseitig.
Wir fokussieren uns auf Länder mit relativ besseren Gewinnrevisionen und auf das stärkere makroökonomische Umfeld in den USA im Vergleich zu anderen Regionen.
Sektorpositionen gibt es in der kurzfristigen taktischen Asset-Allocation aktuell keine.
Strategische Asset Allocation
Aktien
In Q1 2024 erfolgte eine modellgetriebene Aufstockung bei Euro-Aktien. Anfang März haben wir bei Euro-Aktien und japanischen Aktien Gewinne mitgenommen und im Gegenzug chinesische Aktien neu in das Portfolio aufgenommen. Wir halten Positionen in europäischen
Aktien, Emerging Markets Aktien und japanischen Aktien. US-Aktien sind aus Bewertungsüberlegungen weiterhin unattraktiv.
Staatsanleihen
Wir haben bei den Staatsanleihen in den letzten 2 Jahren aufgrund der deutlich attraktiveren Ertragsaussichten markant zugekauft (letzter Zukauf im April 2024). Im August haben wir das Zinsrisiko auf ein neutrales Niveau zurückgenommen, nach den Renditeanstiegen im Oktober aber Anfang November erneut zugekauft.
Unternehmens- & EM-Anleihen
Nach deutlichen Spreadeinengungen in den letzten Monaten haben wir Anfang März Unternehmensanleihen (IG und HY), italienische Staatsanleihen und Emerging Markets Hartwährungsanleihen reduziert. Ende Juni haben wir bei französischen Staatsanleihen zugekauft. Bei Emerging Markets Währungen haben wir 2023 in mehreren Schritten Gewinne mitgenommen.
Reale Assets
In den letzten Monaten wurden die Inflationserwartungen auf Sicht der nächsten Jahre deutlich zurückgenommen. Wir haben daher im August unsere Position in inflationsgeschützten Anleihen aufgestockt. Im Bereich der Rohstoffe (Positionen über Derivate auf Rohstoffindizes) haben wir die tieferen Niveaus bei Industriemetallen für eine Aufstockung genutzt.
Taktische Asset Allocation November
- Wirtschaft: Gute Datenlage der US-Wirtschaft, positiver Trend bei globalen Überraschungen; Inflation weiter rückläufig, politische Entscheidungen könnten belasten; US-Notenbank angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen eher vorsichtig eingeschätzt
- Unternehmen: Gewinnwachstum in Q3/24 erwartungsgemäß deutlich unter Q2/24; Revisionen tendenziell negativ, insbesondere für Europa-Schätzungen; Ausblick auf Q4/24 und Folgequartale 2025 bleibt klar positiv
- Stimmung: Sentiment im Zuge der Unsicherheit rund um die US-Wahl etwas abgekühlt; Volatilität dementsprechend in allen Assetklassen merklich angesprungen; Markttechnik und Trends für (US-)Aktien unverändert positiv
- Spezialthemen: Geldpolitik, Geopolitik und US-Wahlen
- Positionierung: Aktien neutral (unverändert); Infolge des unmittelbaren Event-Risikos „US-Wahl“ keine Änderung in der Positionierung