Die Preisentwicklung an den Rohstoffmärkten nimmt immer abenteuerliche Ausmaße an. Woher kommt die hohe Teuerungsrate, wodurch wird sie beeinflusst und wie lange dauert sie noch an? Befinden wir uns möglicherweise mitten in einem Rohstoff-Superzyklus oder schon am Ende? Wir gehen der Sache nach und versuchen in diesem SAM Journal die Rallye an den Rohstoffmärkten etwas zu beleuchten.
Der Begriff Rohstoff ist weit gefasst und sollte deshalb im Vorhinein erklärt und genauer eingeschränkt werden. Rohstoffe werden durch Urpoduktion (Gewinnung von Produkten unmittelbar aus der Natur) gewonnen und entweder sofort verbraucht, oder zur industriellen Weiterverarbeitung verwendet. Das können neben Holz und Nahrungsmitteln auch fossile Brennstoffe oder Metalle sein. Bei Metallen wird zwischen Edelmetallen (Gold, Silber, Platin) und Industriemetallen unterschieden. Vor allem letztere bilden das Rückgrat einer jeden Volkswirtschaft. Auf diese Industriemetalle wird im Folgenden genauer eingegangen. Die am meisten verwendeten Metalle sind Eisen, Aluminium, Kupfer, Zink, Blei und Nickel.
Eisenerz
Nach Aluminium ist Eisenerz das am häufigsten vorkommende Metall auf der Erde und Hauptbestandteil in der Stahlproduktion. Ein Großteil der globalen Förderung stammt aus Australien, Brasilien und China. Die größte Verwendung findet Eisen bzw. weiterverarbeitete Stahlprodukte im Bauwesen sowie Fahrzeug- und Schiffsbau, was mehr als die Hälfte des Verbrauchs ausmacht. Wert- und mengenmäßig liegt der Eisen- und Stahlmarkt unter den metallischen Rohstoffen weltweit mit großem Abstand auf Platz eins. Mit den größten Einfluss auf den Preis von Eisenerz hat mittlerweile die Nachfrage aus China. Dort verschlingt die gigantische Bauindustrie enorme Mengen an Stahl, welcher neben Beton der am meisten verwendete Rohstoff in diesem Bereich ist.1
Die Nachfrage in China hat somit einen, wenn nicht den größten Einfluss auf die Entwicklung des Eisenerzpreises. Schwächelt dort die Bauindustrie, wie im Sommer 2021, hat dies einen großen Effekt auf die Preisentwicklung von Eisenerz.
Aluminium
Aluminium (hergestellt aus Bauxit) hat Eisen/Stahl mittlerweile bei einer Vielzahl von Produkten ersetzt. Obwohl Aluminium sehr stabil ist, wiegt es rund dreimal weniger als Stahl. Dazu ist das Metall korrosionsfrei und ist zu 100% recyclebar. Aluminium ist vielseitig einsetzbar: Die Automobil- und Flugzeugindustrie, Verpackungen, Fahrräder, usw. Die Einsatzmöglichkeiten dieses Leichtmetalls sind enorm. Kein Wunder also, dass sich die Produktion in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt hat. Die steigende Nachfrage dürfte auch in den kommenden Jahren anhalten. Größte Bauxit-Produzenten sind Australien (28%), China (20,6%) und Guinea (17,4%)2. Bei der Verarbeitung des Bauxits zu Aluminium hat, wie auch bei Stahl, China die Nase vorn. Das Reich der Mitte verarbeitet über 50% des Bauxits zu Aluminium weiter3. Bauxit steht bei der EU auf der Liste der kritischen Rohstoffe, da die Importabhängigkeit mit 87% sehr hoch ist und nicht genug dieses Metalls in Europa zur Verfügung steht.
Kupfer
Kupfer findet vor allem in der Elektro- und Installationstechnik, in der Bauindustrie, Medizin und im Maschinenbau Verwendung. Das Metall besitzt eine hervorragende Leitfähigkeit für Wärme und Elektrizität.
Aufgrund des geringen inneren Widerstandes wird Kupfer in Stromkabeln verwendet. Chile ist weltweit mit Abstand der wichtigste Kupferproduzent, gefolgt von Peru, den USA und China. Von 1967 bis 1988 waren die wichtigsten Exportländer in der CIPEC (Internationale Gesellschaft Kupfer exportierender Länder) organisiert, mit dem Ziel, den Kupferpreis zu beeinflussen. Obwohl die Produktion von Kupfer stark auf Lateinamerika fokussiert ist, findet über 50% der Schmelzproduktion in China statt. Damit ist auch hier das Land der Mitte unangefochten und mit großem Abstand auf rang eins (Platz zwei: Japan mit 8%).4
Zink
Zink ist der Korrosionsschutz Nummer eins für Eisen und Stahl. Ein Großteil der Produktion wird als Korrosionsschutz verwendet. Aber Zink findet auch in der Batterietechnik für negative Elektroden Anwendung. Der Grund für die vielfältige Verwendung von Zink in Batterien liegt in der Kombination von physikalischen und elektrochemischen Eigenschaften mit guter Umweltverträglichkeit und relativ niedrigen Kosten. Auch bei Zink steht China, gefolgt von Peru und Australien, ganz oben auf der Produktionsliste. Nicht weiter verwunderlich, wenn China weltweit den größten Bedarf an Eisen/Stahl hat und 50% des Zinks weltweit zur Verzinkung genutzt werden.
Blei
Blei wird in der heutigen Zeit zum Großteil für Batterien benötigt. Vor allem die Autoindustrie benötigt Blei, weshalb die Nachfrage nach diesem Metall sehr konjunkturabhängig ist. Darüber hinaus eignet sich Blei aufgrund seiner hohen Atommasse zur Abschirmung gegen Gamma- und Röntgenstrahlungen. Früher wurden zum Beispiel Wasserrohre aus Blei gefertigt. Da Blei jedoch giftig ist, wird heute generell versucht, Blei durch andere Metalle zu ersetzen. 2021 stand der Nachfrage von 12.244 tausend Tonnen lediglich eine Minenproduktion von 4.670 tausend Tonnen gegenüber. Die bedeutendste Quelle für Blei ist heute das Recycling alter Bleiprodukte. China steht bei der Bleiproduktion mit großem Abstand an erster Stelle, gefolgt von Australien und den USA.
Nickel
Nickel wird als Metall in geringen Mengen benötigt, der größte Teil der Produktion geht in die Produktion von nichtrostenden Stählen und Nickellegierungen. Die Bedeutung von Nickel könnte in den nächsten Jahren, getrieben durch die Elektrifizierung des Autos, stark zunehmen. Durchschnittlich stecken 12 Kilogramm Nickel in einer Traktionsbatterie. Da Nickel ein Substitut für Kobalt in Lithium-Ionen-Batterien ist und es sich bei Kobalt um einen kritischen Rohstoff handelt, der zu über 80% aus dem Kongo kommt, dürfte die Nachfrage nach Nickel für die Batterieherstellung weiter zunehmen. Es gibt Studien, nach denen mit einem Anstieg des Nickelverbrauchs allein in der Automobilbranche von 50.000 Tonnen im Jahr 2017 auf bis zu 1,4 Millionen Tonnen im Jahr 2028 zu rechnen ist.
25% der weltweiten Nickelvorkommen befinden sich auf Neukaledonien, einem französischen Überseegebiet östlich von Australien. Produktions- und Exportweltmeister von Nickel ist Indonesien, gefolgt auf den Plätzen zwei bis vier von den Philippinen, Russland und Neukaledonien.
Befinden wir uns in einem Superzyklus?
Was alle Industriemetalle gemeinsam haben? Die Preise klettern in immer ungeahntere Höhen. Der Krieg in der Ukraine verschärft die Angebotsproblematik noch weiter. Eine hohe Post-Corona-Nachfrage, gestörte Lieferketten und jahrelang ausgebliebene Investitionen im Rohstoffsektor kombiniert mit der aktuellen Eskalation in Osteuropa sorgen für einen Sturm an den Rohstoffmärkten. Die Konsequenz: Der Preis für Aluminium stieg seit Jahresbeginn um 33% an, Eisenerz verteuerte sich um knapp 40% und Nickel schoss nach einem Short -Squeeze auf über 45.000 USD/MT (+131% YTD)5.
Sind die Preiskapriolen nur akut oder strukturell? Müssen wir uns in Zukunft mit höheren Preisen für Industriemetalle anfreunden oder befinden wir uns möglicherweise mitten in einem Rohstoff-Superzyklus?
Gewöhnlich steigen Rohstoffpreise mit zunehmender Nachfrage. Daraufhin werden Kapazitäten erhöht, bis diese das Angebot decken oder übertreffen, was wiederum sinkende Preise zur Folge hat. Von einem Superzyklus ist die Rede, wenn die Nachfrage über einen (sehr) langen Zeitraum größer ist als das Angebot. Folge sind über Jahre hinweg steigende Rohstoffpreise. Superzyklen entstanden historisch betrachtet aus bedeutenden Veränderungen in unserer Art zu leben. Vier historische Superzyklen sind dabei besonders markant6:
- Die Industrialisierung in den USA in den 1890er Jahren hatte einen Superzyklus zur Folge, der bis Ende des ersten Weltkriegs andauerte.
- Der nächste Superzyklus begann um 1930 und dauerte bis in die 50er Jahre an. Grund waren der zweite Weltkrieg mit anschließendem Wiederaufbau und die Verbreitung des Automobils.
- 1960er bis 1980er: Spannungen im Nahen Osten lassen die Preise für Öl und andere Basismaterialien explodieren.
- Der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (2001) entfachte den letzten Superzyklus. Tiefgreifende Wirtschaftsreformen und Urbanisierung trieben die Rohstoffnachfrage. Mit der Finanzkrise fanden die Preisanstiege ein plötzliches Ende.
Die Preisentwicklung von Industriemetallen steigt seit dem Corona-Crash rasant an. Zum Corona-Höhepunkt kam es zwar auch bei Metallen zu einem Nachfrageschock, jedoch blieb aufgrund von Minenschließungen auch die Produktion niedrig und es wurden nur wenig Lagerbestände aufgebaut. Zusätzlich legten Regierungen weltweit gewaltige Konjunkturprogramme auf, was die Rohstoffnachfrage in kurzer Zeit stark beschleunigte.
Dazu kommt jedoch noch eine strukturelle Nachfrage: Der Megatrend Dekarbonisierung. Die Umstellung unserer Industrie und Gesellschaft auf nachhaltige Alternativen benötigt enorme Mengen an Rohstoffen. Laut
Weltbank weit mehr als die auf Öl ausgerichtete Energieerzeugung.7
Beispiel Kupferbedarf: Bei der Stromgewinnung durch Windstrom wird viermal so viel Kupfer benötigt wie bei
fossilen Brennstoffen. Solarstrom liegt mit dem Faktor zwölf sogar noch deutlich darüber. Der Anteil von Kupfer in einem Elektroauto ist fünfmal höher als der in einem gewöhnlichen Verbrenner. Abhängig vom Tempo der Umstellung8 kann die Aluminiumnachfrage in diesem Fall bis 2050 um das Vierfache ansteigen 9 . Laut Europäischer Kommission könnte sich die Nachfrage für Aluminium, Zink, Kupfer und Nickel, resultierend aus dem Ausbau der Wind- und Solarkapazitäten, bis 2050 verdoppeln.
Je nach Szenario (Low Demand (LD), Middle Demand (MD) oder High Demand (HD)) kommt die EU zu folgenden Ergebnissen für die zusätzliche Rohstoffnachfrage für den Ausbau von Solarenergie und Windkraft von 2018-205010:
Im LD-Szenario für den Ausbau der Windkraft würde sich der Bedarf an „strukturellen Materialien“11 verdoppeln. Im MD-Szenario der EU würde der Nachfrageanstieg dem Faktor 5 entsprechen, im HD-Szenario sogar dem Faktor 11-12. Ähnlich deutlich wird die Nachfrageentwicklung für den Ausbau der Solarenergiekapazitäten prognostiziert. Im LD-Szenario könnte sich die Nachfrage nach strukturellen Materialien von 2018 bis 2050 ebenfalls verdoppeln. MD schlägt mit dem Faktor 7,5 zu Buche und im HD-Szenario nimmt die Nachfrage bis 2050 um das 86fache (!) zu.
Gewaltige Zahlen, die, wenn man ihnen Glauben schenkt, die Idee vom Superzyklus im Rohstoffbereich bestätigen könnten. Schwer zu begreifen, dass wir also, wollen wir Klima und Planeten retten, ihn noch mehr
ausbeuten müssen als wir es jetzt schon tun. Minenbetreiber, energieintensive Recyclingunternehmen und andere Unternehmen, oft als nicht nachhaltig betrachtet, sollen demnach den Grundstoff für die Umstellung unserer Wirtschaft und Energieerzeugung legen? Interessanter Gedanke, denn für fast jeden nachhaltig agierenden Investor sind diese Unternehmen zum Großteil tabu.
Aus heutiger Sicht wahrscheinlich vollkommen zurecht, jedoch könnte eine Diskussion über die Zukunft dieser Industrien und ihrer Bedeutung in dem Kontext dieses Journals durchaus interessant sein.
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Fußnoten
1 Deutsche Rohstoffagentur, 2018
2 Deutsche Rohstoffagentur, 2018
3 USGS - Mineral Commodity Summaries 2022
4 Siehe Link
5 Stand: 14.03.2022; Quelle: Bloomberg; Alle Angaben beziehen sich auf den Future-Kontrakt mit Lieferung in 3 Monaten (USD)
6 Siehe Link
7 Siehe Link
8 Szenario der Weltbank einer Begrenzung der Erderwärmung bis 2100 um unter 2 Grad
9 Siehe Link
10 Siehe Link
11 Stahl, Kunststoff, Glas, Aluminium, Chrom, Kupfer, Eisen, Mangan, Molybdän, Nicel und Zink